Der Mythos des Sisyphos
dem Gewissen seine Nutzlosigkeit wieder. Ebenso ist, wenn alle Erfahrungen gleichgültig sind, die der Pflicht doch genauso berechtigt wie jede andere. Man kann auch aus Laune tugendhaft sein.
Jedwede Moral beruht auf der Vorstellung, daß eine Tat Folgen hat, die sie rechtfertigen oder entwerten. Ein Geist, der vom Absurden durchdrungen ist, meint nur, daß diese Folgen mit heiterer Ruhe betrachtet werden müssen. Er ist bereit zu zahlen. Anders ausgedrückt: wenn es für ihn Verantwortliche geben kann, dann gibt es keine Schuldigen.
Höchstens wird er damit einverstanden sein, die frühere Erfahrung zur Begründung seiner künftigen Taten zu benutzen. Die Zeit wird die Zeit hervorbringen, und das Leben wird dem Leben dienen. Auf diesem begrenzten und gleichzeitig von Möglichkeiten strotzenden Felde kommt ihm alles in seinem Ich unberechenbar vor - außer seiner Klarheit. Welche Regel könnte sich also von dieser unvernünftigen Ordnung herleiten? Die einzige Wahrheit, die ihm lehrreich erscheinen kann, ist nicht formulierbar: sie entzündet sich und entwickelt sich in den Menschen. Also kann der absurde Geist am Ende seiner Überlegung nicht ethische Regeln suchen, sondern Erklärungen und den Atem menschlichen Lebens. Die wenigen Bilder, die im folgenden gegeben werden, sind von dieser Art. Sie folgen der absurden Überlegung und geben ihr ihre Haltung und ihre eigene Wärme.
Muß ich besonders darlegen, daß ein Beispiel nicht zwangsläufig ein nachahmenswertes Beispiel ist (um so weniger, wenn es in der absurden Welt möglich ist) und daß diese Erläuterungen nicht als Muster zu nehmen sind? Abgesehen davon, daß es hierzu der Berufung bedarf, macht man sich lächerlich, wenn man - ohne daß ich die rechten Maßstäbe außer acht lassen möchte - von ROUSSEAU die Notwendigkeit ableitet, auf allen Vieren zu gehen, und von NIETZSCHE das Recht, seine Mutter zu mißhandeln. , schreibt ein moderner Autor, Die Verhaltensweisen, von denen die Rede sein wird, können nur bei Betrachtung der entgegengesetzten Haltungen ihren vollen Sinn bekommen. Ein Postbeamter gleicht einem Eroberer, wenn beide das gleiche Bewußtsein haben. In dieser Hinsicht sind alle Erfahrungen indifferent. Manche dienen dem Menschen, manche schaden ihm. Sie dienen ihm, wenn er bewußt ist. Andernfalls sind sie unwichtig: die Niederlagen eines Menschen verurteilen nicht die Verhältnisse, sondern ihn selber.
Ich wähle nur Menschen, die bloß darauf aus sind, sich auszuschöpfen oder von denen mir - statt ihnen selber - bewußt ist, daß sie sich ausschöpfen. Das führt nicht zu weit. Ich will zunächst nur von einer Welt reden, in der das Denken und das Leben jeder Zukunft beraubt sind. Alles, was den Menschen zu Arbeit und Tätigkeit anhält, nützt die Hoffnung aus. Das einzige Denken, das keine Lüge ist, ist demnach ein steriles Denken. In der absurden Welt mißt sich der Wert eines Begriffs oder eines Lebens an seiner Unergiebigkeit.
DER DON-JUANISMUS
Die in der Liebe
Genügte es einfach zu lieben, dann wären die Dinge zu simpel. Je mehr man liebt, um so mehr festigt sich das Absurde. Nicht aus Mangel an Liebe geht Don Juan von Frau zu Frau. Es ist lächerlich, ihn als einen Trunkenen auf der Suche nach der allumfassenden Liebe darzustellen. Aber weil er alle gleich stürmisch und jedesmal mit Einsatz seiner ganzen Person liebt, muß er diese Gabe und diese Vertiefung wiederholen. Daher hofft jede ihm zu geben, was ihm bis dahin keine gegeben hat. Sie alle täuschen sich jedesmal völlig, und es gelingt ihnen nur, ihn die Notwendigkeit dieser Wiederholung empfinden zu lassen. , ruft eine, ist es verwunderlich, wenn Don Juan darüber lacht: Warum sollte man selten lieben, um stark zu lieben?
Ist Don Juan traurig? Das ist nicht wahrscheinlich. Ich brauche, an die Fabel kaum zu erinnern. Dieses Lachen, die sieghafte Frechheit, das Sprunghafte und die Freude am Theatralischen - alles das ist hell und fröhlich. Jedes gesunde Wesen ist darauf aus, sich zu vermehren. So auch Don Juan. Darüber hinaus aber haben die Traurigen zwei Gründe für ihre Trauer: sie leben in Unwissenheit, oder sie hoffen. Don Juan weiß, und er hofft nicht. Er erinnert an jene Artisten, die die Grenzen ihrer Möglichkeiten kennen, sie nie überschreiten und in diesem unsicheren Spielraum, auf den ihr
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