Der Nachbar
jedenfalls.«
»Sie glauben ihm nicht?«
Tyler dachte darüber nach. »Ich weiß nicht. Er beharrt mir ein bisschen zu sehr darauf, dass es ihm einzig und allein um das Wohl des Kindes geht. Dabei zahlt er keinen Penny Unterhalt für die Kleine und hat sie seit neun Monaten nicht mehr gesehen. Seiner Erklärung zufolge ist daran nur die Mutter schuld, die seine Schecks zurückschickte, als sie mit Townsend zusammenlebte, und danach ganz von der Bildfläche verschwand. Er behauptet, sie manipuliere das Kind und seine Gefühle, um bei der Scheidung einen Trumpf in der Hand zu haben. ‘Du hast nie für sie gesorgt, sie mag dich nicht, würde niemals bei dir leben wollen...’, so in der Richtung.«
»Tja, das ist nichts Ungewöhnliches. Die Kinder werden in solchen Situationen immer benutzt. Das ist traurig, aber nichts Neues.«
»Aber genau das ist doch der springende Punkt, Sir. So weit ich feststellen kann, besteht da keine ‘solche Situation’. Es kommt doch höchst selten vor, dass einem Vater das alleinige Sorgerecht zugesprochen wird, und bei einem Mann, der so viel arbeitet wie Rogerson, ist es noch unwahrscheinlicher. Aber Laura Biddulph scheint überzeugt zu sein, dass man ihr das Kind wegnehmen wird. Warum? Das ist doch ganz unsinnig. Die beiden sollten das gemeinsame Sorgerecht anstreben, dann wäre allen gedient.«
Er machte eine Pause, um seine Gedanken zu ordnen. »Und noch etwas gibt mir zu denken. Rogersons Haus. Kein Mensch käme auf den Gedanken, dass in diesem Haus mal ein Kind gelebt hat. Es gibt nirgends Spielsachen, der Fernseher ist winzig, keine Videos, keine Schaukel oder Kletterstangen im Garten, aber überall kostbarstes Porzellan. Amy muss jedes Mal, wenn sie durchs Haus gelaufen ist, Todesangst gehabt haben, sie könnte was kaputtmachen.« Er zuckte mit den Schultern. »Für mich stellt sich die Frage, ob er überhaupt ein Kind wollte, geschweige denn das Sorgerecht für dieses Kind, als die Ehefrau sich aus dem Staub machte.«
Wieder ein lang gezogenes »Hmmm«. Wer den Chef nicht kannte, glaubte gern, er summe vor sich hin. Die anderen waren diese wortkargen Denkpausen gewöhnt, die er sich zu gönnen pflegte. Die meisten seiner Mitarbeiter hatten die Gewohnheit übernommen, achteten aber tunlichst darauf, ihn nicht in seinem Beisein nachzuäffen. »Interessant. Haben Sie diese Fragen mal Rogerson vorgelegt?«
Tyler nickte. »Vor der Pressekonferenz. Ich fragte ihn, warum sie um das Kind gestritten haben, wo doch das Problem mit einem Antrag auf gemeinsames Sorgerecht gelöst gewesen wäre. Er sagte, er stimme mir durchaus zu, aber er sei machtlos, wenn seine Frau nicht bereit sei, mit ihm zu sprechen.«
»Und wie reagierte Laura Biddulph darauf?«
»Er ist plausibel, weil er Anwalt ist. Oder umgekehrt.«
»Sie hat Recht. Das sind doch alles verdammte Hyänen.«
Der Chief Inspector lächelte. »Aber da muss noch was andres sein, Sir. Da hat der eine den anderen irgendwie in der Hand, ich weiß nur nicht, wer wen und womit. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, dass Rogerson von irgendeinem schmutzigen Geheimnis seiner Frau weiß– vielleicht im Zusammenhang mit Townsend –, sonst hätte sie sich nicht an Logan verkauft, um zu einem Dach über dem Kopf zu kommen.«
»Was wissen wir von Townsend?«
»Nicht viel. Der ist zurzeit mit seiner neuen Freundin auf Mallorca im Urlaub. Rogerson vertritt ihn weiterhin, was ich persönlich einigermaßen seltsam finde. Ich meine, der Bursche hat ihm immerhin die Frau ausgespannt.« Er sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf.
»Vertritt er ihn privat oder geschäftlich?«
»Beides. Laura Biddulph sagte, dass sie ständig miteinander telefonieren.«
Der Superintendent machte ein nachdenkliches Gesicht. »Vielleicht sollte man die Frage andersherum stellen: Was kann Townsend daran liegen, einen Mann, den er hintergangen hat, als Anwalt zu beschäftigen? Das ist doch viel interessanter, meinen Sie nicht? Es legt nahe, dass sie mehr verbindet als Amy und ihre Mutter.«
»Zum Beispiel?«
»Geheimnisse? Vielleicht ist es so, dass von den Männern einer den anderen in der Hand hat. Wo lebt Townsend? Was für Geschäfte macht er?«
»In Southampton. Er hat ein Bauunternehmen, die Firma Etstone. Rogerson hat uns beide Adressen gegeben. Wir hatten gestern Abend von neun Uhr an einen Wagen vor Townsends Haus stehen, für den Fall, dass die Kleine dort auftaucht, und wir haben uns mit den Nachbarn unterhalten. Ein oder zwei erinnern sich an
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