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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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plötzlich ratternd und klappernd die Eisentür. Er glaubte schon, er hätte endlich doch Glück, als er den reglosen Körper auf dem Boden liegen sah. O Gott! Ogottogott!
    Er überlegte gar nicht – machte einfach kehrt und lief davon.
Im Haus Humbert Street 23
    Sophie wich in eine Zimmerecke zurück und wühlte in ihrer Tasche nach einem Papiertuch, um den Geschmack wegzuwischen, den die Hand des alten Mannes auf ihren Lippen hinterlassen hatte. Sie hatte so fürchterliche Angst, dass ihre Finger ihr nicht gehorchten; sie musste sie fest an die Wand drücken, um dem Zittern Einhalt zu gebieten. Ein Durcheinander von Möbelstücken füllte das Zimmer. Franek stand mit schräg geneigtem Kopf vor der offenen Tür und bewachte sie, während er dem Rumoren seines Sohnes lauschte, der draußen im Treppenflur irgendeinen schweren Gegenstand herumschob. Nicht einen Moment verließ sein Blick ihr Gesicht – ein unverwandtes Starren, das sie zwang, ihn anzusehen. Was, wenn er näher kam? Was, wenn er sie von neuem attackierte? Das Geschrei der Menge dröhnte in ihren Ohren. »Drecksau... Ficker... Perverser...«
    Sie verstand das alles nicht. Woher war die Menschenmenge gekommen? Was hatte zu diesem Tumult geführt? Noch vor einer halben Stunde war die Straße praktisch leer gewesen. Angst um sich selbst beherrschte ihr Denken und verdrängte alle Gedanken an Melanies Pädophilen. War sie ganz bewusst hierher gelockt worden? Hatte jemand sie ins Haus gehen sehen und erkannt, dass sie in Gefahr war? »Drecksau... Ficker... Perverser...« Aber warum hatte man sie dann angegriffen, als sie das Haus verlassen wollte? Und wo war die Polizei?
    Es war, als versuchte sie, durch dichten Nebel ihren Weg zu finden. Ihr Verstand war gelähmt von der Bösartigkeit des alten Mannes. Keine ihrer Phantasien über ihn konnte schlimmer sein als die Wirklichkeit. Sie wusste, dass er in Gedanken wie vorhin, als sie das Ende der Treppe erreicht hatten, ihre Brüste unter seinen Händen spürte und ihr Gesäß unter seinem hart stoßenden Glied, und fühlte, wie er jedes kleinste Beben von ihr, das ihm verriet, dass auch sie diesen Moment schaudernd wiedererlebte, bis ins Letzte auskostete.
    Plötzlich machte er einen Schritt auf sie zu.
    »Ich bring Sie um!«, warnte sie mit vor Trockenheit krächzender Stimme. Sie tastete nach dem Pfefferspray in ihrer Tasche und konnte nicht glauben, dass es ausgerechnet dies eine Mal, da sie es brauchte, zusammen mit ihrem Handy in ihrem Koffer lag. Wo war der Koffer überhaupt? Hatte Nicholas ihn geholt oder stand er immer noch neben der Haustür?
    Nicholas hatte offenbar ihre Worte gehört; er machte eine scharfe Bemerkung auf Polnisch, und sein Vater drehte widerwillig den Kopf, um zur Tür hinauszuschauen. Es war ein plötzliches Erwachen – eine Befreiung aus dem Bann. In wilder Hast sah sie sich nach einer Waffe um und schnappte sich zwei Stühle mit steifen Rückenlehnen, die sie, nachdem sie sie vor sich aufgestellt hatte, dicht an ihre Beine heranzog.
    Franek hörte das Scharren der hölzernen Beine auf den Dielenbrettern. »Was soll das?«, fragte er wütend. »Glauben Sie, dass die Stühle Sie retten? Sie sollten lieber Milosz helfen, schwere Möbel vor die Tür zu schieben, damit wir sicher sind. Er versucht gerade, den Schrank aus meinem Zimmer durch die Tür zu kriegen. Das ist vernünftig. Aber das hier –« er wies auf die beiden Stühle –»ist es nicht.«
    Ohne auf ihn zu achten, griff sie nach einer großen Glasvase und einem alten Cricketschläger, deponierte beides auf einem der Stühle, die sie vor sich hatte, und ließ einige Bücher mit hartem Einband sowie einen abgegriffenen Emailteller mit geschwungenem Rand folgen.
    »Los, tun Sie, was ich sage. Helfen Sie Milosz.«
    Sie schüttelte den Kopf und hob die Vase mit beiden Händen. Hinter ihm entdeckte sie ans Treppengeländer gelehnt ihren Koffer.
    Er lachte glucksend. »Sie glauben, das Glas wird meinen Kopf zertrümmern?« Er tippte sich an die Stirn. »Eisenhart. Bilden Sie sich wirklich ein, Sie könnten sich gegen Franek wehren? Schauen Sie her!« Er ballte beide Hände zu Fäusten und tänzelte ihr entgegen wie ein Boxer, wobei er einen Schlag nach ihrer Wange vortäuschte. »Ein Treffer, und Sie gehen zu Boden.«
    Sie wollte zurückweichen, sich davonstehlen, eine Konfrontation vermeiden, aber das ging nicht, weil direkt hinter ihr die Wand war und gegen ihre Schulterblätter drückte. Sie befeuchtete ihre Lippen. »Nur

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