Der Nachbar
bloß irgendwo in einem Loch verkriecht, weil sie überhaupt keine Freunde hat.«
»Und wie hat sie reagiert?«
»Sie hat nur gesagt, wenn wir wüssten, wären wir stinkneidisch.«
Verwandte von Laura Biddulph und Martin Rogerson wurden ohne Erfolg befragt. Rogersons Eltern lebten in einem Seniorenheim in Brighton und hatten ihre Enkelin seit nahezu zwei Jahren nicht mehr gesehen. »Sie war nur das eine Mal hier. Martin wollte eine Versöhnung... wir hatten seit seiner Scheidung nicht mehr miteinander gesprochen... aber Amy war sehr anstrengend – weinte beinahe ununterbrochen. Wir vermuten, dass sie krank war... sie lief immer wieder mit Bauchschmerzen zur Toilette, aber sie wollte sich auch nicht helfen lassen... Ein merkwürdiges Kind... nervenaufreibend... schlägt wohl nach ihrer Mutter... Martin jedenfalls brachte sie an den Rand seiner Nervenkraft. Wir baten ihn, sie nicht wieder mitzubringen. – Nein, wir hatten keine Ahnung, dass er und Laura sich getrennt hatten.«
Seine Söhne aus erster Ehe hatte Laura nie kennen gelernt. »Wir haben ihn gewarnt, bevor er wieder heiratete, dass wir uns auf Mutters Seite stellen würden...« Was für ein Vater war er? »Distanziert... desinteressiert... Wir hatten immer das Gefühl, dass er uns nicht besonders mochte...« Hat er Sie geschlagen, wenn Sie ungezogen waren? »Kaum... er kam immer erst sehr spät nach Hause... das war Aufgabe unserer Mutter...«
Laura Biddulphs Eltern, die als Rentner in Oxford lebten, in der Nähe ihrer ältesten Tochter, hatten Amy ebenfalls nur einmal gesehen, als Laura sie im Sommer des vergangenen Jahres zu einem Überraschungsbesuch mitgebracht hatte. Wie die Familie Rogerson schienen sie sich von dem Kind abgewendet zu haben, zu dem sie keinen engen Draht fanden. Mr Biddulph übernahm das Reden.
Ob Laura von Schwierigkeiten in der Ehe gesprochen habe? »Das hätte sie nie getan... Sie wusste genau, dass sie von uns nicht mehr zu erwarten hatte als ‘Wir haben's dir ja gleich gesagt’...« Martin Rogerson sei ihnen als Schwiegersohn also nicht willkommen gewesen? »Natürlich nicht – der war ja nicht viel besser als ein Kinderschänder – sich so ein blutjunges Ding zu nehmen... Wie eine Trophäe!« Ob sie von Lauras Absicht, ihn zu verlassen, gewusst hätten? »Nein – es traf uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als sie anrief und sagte, dass sie mit einem anderen Mann zusammen sei...« Ob sie Townsend einmal kennen gelernt hätten? »Nein...« Ob Laura von ihm gesprochen habe? »Ich glaube, sie erzählte mal, er sei Bauunternehmer...« Ob Amy während ihres Aufenthalts bei ihnen über Martin Rogerson gesprochen habe? »Nein... wir ermunterten sie auch nicht dazu...« Ob zwischen Laura und ihrer Tochter eine liebevolle Beziehung bestanden habe? »Wenn Sie damit meinen, ob die beiden sich dauernd abgeknutscht haben, dann nein... Wir sind in unserer Familie eher zurückhaltend...« Ob ihnen irgendetwas aufgefallen sei, was hätte vermuten lassen, dass Amy misshandelt wurde? »Von wem? – Martin oder Laura?« Ganz gleich.
»Also, von Laura bestimmt nicht... die könnte keiner Fliege was zu Leide tun... Bei Martin sieht das anders aus – der Mann ist zu allem fähig...«
Lauras Schwester ließ die Antworten in einem anderen Licht erscheinen. »Meine Mutter war achtundvierzig, als Laura geboren wurde. Sie glaubte, sie wäre im Klimakterium, als plötzlich ein strammer kleiner Säugling das Licht der Welt erblickte. Ich war achtzehn, und mein Bruder war sechzehn. Wir dachten, Mama hätte den ersten Altersspeck angesetzt – stattdessen wird uns Shirley Temple aufgetischt. So ein singendes, tanzendes Lockenköpfchen, tausendmal niedlicher als wir je waren. Sie wurde nach Strich und Faden verwöhnt. Mein Vater, der nicht mehr der Jüngste war, entdeckte plötzlich die Freuden der Vaterschaft, und unsere Mutter musste sich mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Dad hat es einzig sich selbst zuzuschreiben, dass Laura einen Mann wie Martin geheiratet hat. Er hat ihr ja selbst gezeigt, mit welcher Leichtigkeit sich die Männer von einem hübschen Mädchen um den Finger wickeln lassen.«
»Verstehen Sie sich mit ihr?«
»Ich kenne sie ja kaum. Sie ist eher wie eine entfernte Verwandte.«
»Beneiden Sie sie?«
Die Schwester, mit einem Landwirt verheiratet, war eine robuste Person, mit windgeröteten Wangen und schwieligen Händen.
»Ja, früher mal war ich neidisch«, bekannte sie. »Jetzt nicht mehr. Sie hat ihren Glanz
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