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Der Nachbar

Titel: Der Nachbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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schlug er mit der Faust krachend auf das verbeulte Metall, in dessen grauen Anstrich jemand mit einem Luftgewehr ein V-förmiges Lochmuster gesiebt hatte. Er wollte zu einem Typen im achten Stock, der ihm Geld schuldete, aber zu Fuß da raufkeuchen, das kam nicht in Frage. Der Scheißer ging ihm seit Donnerstag ständig aus dem Weg, da standen die Chancen, dass er zu Hause sein würde, ohnehin schlecht. Wahrscheinlich trieb er sich mit den übrigen Idioten draußen auf der Straße rum.
    Es war gespenstisch ruhig im Haus. Sonst hallten samstags im Treppenhaus Kindergeschrei und -gelächter, doch heute waren die Kinder entweder in den Wohnungen eingesperrt, oder sie zogen wie eine Hundemeute hinter der Menge her. Kurz nach Mittag war er an einer Gruppe ABC-Schützen vorübergekommen, die vor der Schule, wo Melanies Truppen sich sammelten, gestanden und im Sprechchor gerufen hatten: » Pello viele raus... pello viele raus...« Sie hatten nicht einmal verstanden, was sie eigentlich sagen sollten – Pädophile raus! –, geschweige denn begriffen, was es bedeutete, und er bezweifelte, dass die Erwachsenen auch nur einen Deut klüger waren. Es deprimierte ihn. Wie Ignoranz ihn immer deprimierte.
    Er zündete sich eine Zigarette an und überlegte, was für Möglichkeiten ihm offen standen. Vor dem, was sich hier zusammenbraute, gab es kein Ausweichen. Melanie hatte von einem »Protestmarsch« gesprochen, aber der Benzingeruch in der Luft ließ ganz anderes ahnen. Er hatte einen Umweg gemacht, um eine der Durchfahrtsstraßen zu inspizieren, und sie von Autos blockiert gefunden. Einige der Fahrzeuge lagen umgestoßen auf der Seite, bei allen fehlten die Verschlusskappen der Benzintanks, der Treibstoff war abgezapft worden oder hatte sich auf den Asphalt ergossen. Er beobachtete junge Kerle, die Flaschen mit Benzin füllten, und Mädchen, die Lumpen in die Flaschenhälse stopften. Man brauchte kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, dass Krieg im Anzug war. Auf der anderen Seite der Barrikaden war ein einsamer Streifenwagen zu sehen; die tiefe Besorgnis in den Gesichtern der beiden Beamten spiegelte Jimmys Gefühle.
    Der Pädophile war den Leuten in der Acid Row nur ein Vorwand, um ihrem brodelnden Groll Luft zu machen. Sie waren die Juden im Getto, die Schwarzen in den Townships, die Ausgestoßenen, die am Wohlstand der Gesellschaft keinen Anteil hatten. Und das Ironische daran war, dass es größtenteils Weiße waren. Bis zu einem gewissen Punkt konnte Jimmy es ihnen nachfühlen – wie jeder Schwarze im Land –, aber er verachtete sie auch für ihre mangelnde Bereitschaft, etwas zu verändern.
    Er hatte fest vor, Melanie und die Kinder hier herauszuholen – sich in London etwas Anständiges zu suchen, was ihm erlauben würde, keine krummen Sachen mehr zu machen und es zu etwas zu bringen... oder
hatte
es vorgehabt, wie er sich niedergeschlagen sagte, bis er entdeckte, dass keiner seiner Kontakte an diesem Tag erreichbar war.
    Mindestens zwei waren klug genug gewesen, aus der Acid Row zu verschwinden, bevor die Barrikaden hochgezogen wurden, und ein dritter hatte einfach seine Tür nicht geöffnet. Alle drei wollten sie aus unterschiedlichen Gründen nichts mit den Bullen zu tun bekommen, und das hieß, es war das Gescheiteste, von der Bildfläche zu verschwinden, bis der ganze Zauber vorbei war. Aus den Augen, aus dem Sinn, und morgen war noch Zeit genug, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Sehr schnell führten Jimmys Überlegungen zu der gleichen Schlussfolgerung. Eigentlich hatte er um diese Zeit schon mit Geld in der Tasche und verkäuflicher Ware im Zug sitzen wollen, aber in Ermangelung sowohl des einen als auch des anderen, blieb ihm nichts anderes übrig, als in Melanies Wohnung unterzuschlüpfen und abzuwarten. Er hatte genügend Zeit, ein neues, anständiges Leben anzufangen, wenn er seine Geschäfte erledigt hatte; im Moment begann ihm etwas ganz anderes Sorgen zu machen. War es klug gewesen, Melanie und die zwei Kleinen ganz allein losmarschieren zu lassen? Wer zum Teufel konnte wissen, was die Kretins von der Acid Row für die Humbert Street geplant hatten!
    Er zermalmte den Stummel seiner Zigarette unter dem Stiefelabsatz und schlug mit der flachen Hand wütend auf den Aufzugknopf. Wenn nur
eine
Sache geklappt hätte, mehr hätte es gar nicht gebraucht, aber hier, in diesem Scheißkaff, funktionierte ja nichts! Nur aus Wut hatte er zum Schlag gegen den streikenden Aufzug ausgeholt, und da öffnete sich

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