Der Nachtelf (German Edition)
Verborgenen weiterblühten. Die frühe Amtskirche verwendete ihre ganze Macht darauf, die Ruptu-Kulte zu zerschlagen, und achtete nicht der Dinge, die sich hinter den eigenen Linien taten.«
»Ihr sprecht von menschlichen Gläubigen der Ruptu-Kulte?«
Heidugun sah sie traurig an. »Die altvorderen Echsen verachteten den Blutsonnengott Tyrtalla, weil sie selbst einer Mondgöttin huldigten.«
Dadalore klappte der Kiefer herunter. »Ihr meint Exu?«
Heidugun deutete mit einem fleischigen Finger auf die Scherbe. »Dies hier ist das Symbol ihres göttlichen Sohnes. Sein Name geriet mit der Zerstörung des Ruptu-Reiches in Vergessenheit. Heute ist er nur noch als der Nachtelf bekannt. Und sein Zeichen ist der Schwarze Panter.«
Ihr wurde schwindelig. Hilfesuchend sah sie sich nach etwas um, woran sie sich festhalten könnte. Aber da war nichts. So ging Dadalore einfach zu Boden und lehnte nun dort mit dem Rücken gegen eine der gläsernen Schranktüren. Jetzt ergab alles Sinn. Ein Mörder, der mühelos alle magischen Sicherungen im Palast umgehen konnte. Der unsichtbar einen Schamanen in Dämonengestalt töten konnte. Es war unvorstellbar, welche Zaubermacht dem leibhaftigen Sohn einer Göttin zur Verfügung stehen musste. »Können wir gegen einen solchen Feind überhaupt bestehen?«
»Allein? Wohl kaum, Kind. Ihr werdet alle Unterstützung brauchen, die Ihr bekommen könnt.«
Dadalore ballte die Hände zu Fäusten. »Ich muss zum König. Augenblicklich.«
»Ihr würdet nicht vorgelassen«, warf der Schamane ein, nur um nachzuschieben: »Ich stelle Euch einen Passierschein mit meiner Unterschrift aus. Niemand wird es wagen, Euch aufzuhalten.«
»Mordgierige Verschwörer einmal ausgenommen«, murmelte Dadalore.
Wild entschlossen stürmte Dadalore aus den Gemächern des Obersten Staatsschamanen hinaus und wäre um ein Haar Annanaka in die Arme gelaufen. Heilige Furuja, sei gnädig! Die offene Tür hatte sie ganz vergessen. Sie musste erneut schleichen. Nach allem, was sie nun wusste, könnte eine Begegnung mit der Schamanin noch weit schlimmer enden, als sie bisher befürchtet hatte. Zumindest war die Capitalobservatorin immer noch barfuß.
Dadalore tastete sich auf Zehenspitzen vor. Sie war fast lautlos, nur das leise Knarzen ihrer Lederkleidung ließ ihr fast vor Angst das Herz stehenbleiben. Ruhig, Mädchen, so gute Ohren konnte Annanaka einfach nicht haben.
Sie näherte sich der Tür.
Jetzt kam die gefährlichste Stelle. Hier konnte sie nicht nur am besten gehört, sondern auch gesehen werden.
Ängstlich sah sie zu dem Türspalt hinüber. Dahinter war wie gehabt der schmale Wandausschnitt mit der Kerze davor zu sehen. Die Kerze war umgefallen.
Dadalore kniff die Augen zusammen.
Es war nur eine Kerze. Das durfte man nicht überbewerten. Jeder konnte einmal versehentlich eine Kerze umwerfen, auch Annanaka.
Dennoch konnte die Sklavin nicht verhindern, dass ihr ein Bild der letzten Nacht ins Gedächtnis stieg: Die oberste Furuja-Schamanin, wie sie in traumwandlerischer Sicherheit zwischen den zahlreichen Kerzen hindurch ging. So sehr sich Dadalore auch bemühte, sie konnte diese Erinnerung nicht überein bringen mit dem Bild der umgefallenen Kerze, das sich ihr nun darbot.
Sie sollte weiter gehen, einfach weiter. Nach allem, was sie über die Gefährlichkeit der Priesterin gehört hatte, war es nackter Wahnsinn, hier vor ihrer Tür stehenzubleiben. Und dennoch konnte sie nicht anders. Verfluchte Neugier! Dadalore bewegte sich direkt auf die Tür zu. Sie schlich noch immer, doch das würde ihr schon bald nichts mehr nützen.
Sie horchte.
Alles war ruhig.
Wenn Annanaka hinter dieser Tür war, gab sie keinen Laut von sich.
Dadalore tastete nach dem Holz.
Alles war still.
Sie gab der Tür einen winzigen Stups. Der Spalt vergrößerte sich, doch da blieb die Tür abrupt stehen. Dadalore ahnte, warum: Neben der Kerze war nun eine Hand zu sehen, die regungslos dalag. Sie war blutbefleckt.
Die Neugier gewann endgültig die Kontrolle. Dadalore quetschte sich durch den Türspalt in das Empfangszimmer hinein.
Und aus dem bösen Verdacht wurde Gewissheit.
Annanaka lag dort, wie sie auch in der vergangenen Nacht vor ihr gestanden hatte: In einem hübschen, tiefroten Gewand und weiß geschminkt. Doch in ihrem Hals klaffte ein hässlicher Schnitt, durch den noch immer unaufhörlich Blut austrat, obschon sich unter ihr bereits eine riesige Pfütze ausbreitete.
Dadalore wollte den Leichnam untersuchen. Dazu
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