Der Nachtelf (German Edition)
lästige Fliegen. »Ich höre.«
»Könnten wir einen Ort aufsuchen, der weniger Ohren beherbergt?«
Wortlos rauschte der Fleischberg an ihr vorbei. Dadalore hatte Mühe, Schritt zu halten. Sie verließen den Saal durch eine der beiden Türen am Kopfende und betraten einen Raum, der annähernd quadratisch war. Einige prächtige Schränke mit gläsernen Türen standen hier, hinter denen Zeremoniengewänder, silberne Becher und edelsteinbesetzte Knochen zu sehen waren. Heidugun nahm auf einem Stuhl Platz, über dessen Sitzfläche sein Leib zu allen Seiten zugleich hinaus quoll. »Also gut«, sprach er in versöhnlicherem Tonfall. »Ich vertraue darauf, dass Ihr mich nicht grundlos belästigt.«
»Ich denke, Ihr seid zwischenzeitlich über die Verschwörung ins Bild gesetzt worden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie noch heute Abend ...«
»Verschwörung?«, grunzte Heidugun.
Dadalore brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. »Die Verschwörung, von der ich Eurer Stellvertreterin heute Nacht berichtete.«
Heidugun streckte sich. »Wird sie wohl vergessen haben.«
Annanaka! Die Hinweise verdichteten sich. »Oberster Staatsschamane, es geht dabei nicht um eine Lappalie. Es ist mir gelungen, eine geheime Ermittlungsakte meines Vorgängers aufzuspüren, die nahelegt, dass die höchsten Gebote des Königs und der Götter missachtet wurden. Ich spreche von der Rückkehr der Verbotenen Künste.«
»Nun mal langsam.« Der Schamane schüttelte den Kopf. »Capitalmeisterobservator Osogo-Wem-fehlt-die-Zeit soll einer Verschwörung auf den Fersen gewesen sein, die mit den Verbotenen Künsten zu tun hat? Warum ist er denn nicht hier?«
Dadalore räusperte sich. »Er ist verschwunden.«
»Verschwunden, was soll das heißen?«
»Das heißt, dass wir es mit Verbrechern zu tun haben, die vor nichts zurückschrecken, Oberster Staatsschamane.«
Heidugun brummte etwas Unverständliches.
»Wer auch immer hinter diesem Komplott steht, macht auch vor Übergriffen auf die Beamten des Reiches nicht Halt.«
»Das wäre ein Frevel gegen Tyrtalla! Die Vergessenen Lehren sind aus gutem Grund für immer vor den Augen der Öffentlichkeit vernichtet worden. Deswegen ist es auch vollkommen ausgeschlossen, dass sich jemand dieser Mächte bedient.«
»Heidugun, das ist bereits der Fall.«
»Vollkommen ausgeschlossen!«, polterte der Schamane.
Dadalore verstummte. Sie hatte den alten Schamanen noch nie so zornig erlebt. Offenbar hatte ihn Annanaka schon über ihr erstes Gespräch nicht informiert.
»Es ist alles vernichtet und versiegelt, keine Macht dieser Welt kann sich je wieder des Grauens der Vergessenen Götter bedienen.«
Die Capitalobservatorin holte tief Luft. »Oberster Staatsschamane, wir haben unter dem Alabasterviertel ein Gewölbe gefunden, das offenbar in altvorderen Tagen kultischen Zwecken zur Verehrung der Ruptu-Götzen diente.«
Sein Blick hätte Stahl durchschneiden können. Als er wieder anhob zu sprechen, formte er die Worte sehr langsam und überdeutlich. »Wer hat Kenntnis von diesem Gewölbe?«
Dadalore fühlte sich unbehaglich. »Nur die beiden ermittelnden Capitalobservatoren und ein paar Capitalprotektoren.«
»Die Nachforschungen müssen augenblicklich eingestellt werden!«, donnerte Heidugun.
»Sie müssen was?« Die Beamtin war fassungslos.
»Ihr habt mich recht verstanden. Ich dulde nicht, dass jemand dort unten herumschnüffelt. Und ich erwarte, dass Ihr meinen Befehl unverzüglich umsetzt!«
Sagard sei verflucht! Es konnte doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet jetzt, da die Ermittlungen zum Greifen nah vor ungeheuerlichen Enthüllungen standen, jetzt, da höchst wahrscheinlich ein Angriff auf König und Reich bevorstand, ihr plötzlich die Hände gebunden sein sollten. Heiduguns dunkle Augen lagen auf ihr und offensichtlich würde er keinen Widerstand hinnehmen. Aber sie konnte nicht kampflos aufgeben. »Oberster Staatsschamane«, sagte sie leise, »Vor drei Tagen wurde ein Priester ermordet. Und stärker noch als bei den gemeuchelten Ruptu wurde dabei deutlich, dass der Täter sich frevelhafter Magie bediente. Einer Zauberei, die nicht Tyrtalla- und nicht Furuja-heilig, die nicht Sagard- und nicht Kalunga-verflucht ist. Einer Zauberei, die nur von den finsteren Götzen der Ruptu stammen kann, durch die wir Warmblütigen schon einmal fast ausgelöscht worden wären. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie solche unheiligen Machenschaften nach dem Herzen des Imperiums greifen.«
Sie senkte
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