Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
Vom Netzwerk:
Käfig herabgelassen und im Abwasser ersäuft. Erst Königin Walnaka-Wozu-darben-Was-soll-denn-das setzte dem ein Ende, indem sie verfügte, dass im Regelfall kein Mensch den Tod durch die Hand eines anderen Menschen finden dürfe.«
    Dadalore hielt sich einen Arm vor die Nase, was es aber auch nicht viel besser machte. »Und wo sind jetzt die Gefangenen?«
    »Sie werden nach alter Sitte noch immer in die Käfige gesperrt. Ihr erreicht sie über die Brücke.«
    »Nein!«, stieß Dadalore unwillkürlich hervor und biss sich sogleich auf die Zunge. Sie war zu unbeherrscht. Sie durfte vor ihrem Untergebenen keine Schwäche zeigen. Aber sie konnte unmöglich diese Holzkonstruktion betreten. Doch was sollte sie tun? Auf die Besichtigung des Tatortes zu verzichten, wäre unverzeihlich.
    Bamulaus durchbrach das peinliche Schweigen. »Verzeiht, Eure Capitalobservatorin, die unbotmäßige Frage, aber gibt es ein Problem mit großen Höhen?«
    Dadalore hoffte, dass er in dem Zwielicht nicht sehen konnte, wie sie errötete. Sie murmelte etwas Zustimmendes.
    Er betrachtete sie kühl. Kurz schien Verachtung in ihm aufzublitzen, doch sofort glätteten sich seine Züge wieder. Bamulaus nickte ausdruckslos. »Der neue Capitaloberobservator gab mir etwas zu Eurer Unterstützung mit.«
    Der Capitalprotektor nahm eine Tonkugel, die mit einer Öse an seinem Gürtel befestigt war. Auf der Kugel war der Schattenriss eines Tieres abgebildet. Er reichte das Artefakt weiter. »Es ist der Lakai einer Bergziege. Das sollte helfen.«
    Dadalore biss die Zähne zusammen und warf die Kugel auf den Boden, wo sie zerbarst. Für einen Moment war ein blaues Leuchten zu sehen, das den Scherben entschwebte und mit einem Seufzen in das Mädchen fuhr. Sie spürte, wie alle Angst vor der Tiefe augenblicklich von ihr abließ. Als sie die ersten ein, zwei Schritte auf die schwankende Brücke hinaus machte, fühlte sie stattdessen eine Art Freude an der Bewegung. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht loszulaufen. »Wo bleibst du denn, Bamulaus? Man lässt niemanden warten, am allerwenigsten den Tod!«
    Sie ging zügig voran. Hin und wieder kreuzten weitere Holzstege den Weg, die im Vorübergehen zitterten. Ihr Ziel war bereits gut auszumachen, denn in der Dunkelheit vor ihnen waren fünf Fackeln entzündet, aus deren flackerndem Licht einige Käfigzellen hervor sprangen: Sie hingen an Tauen, die bereits der Verfall zernagte, und baumelten beiderseits der Brücke über dem Abgrund.
    In den Käfigen kauerten Menschen, die den Eindruck erweckten, bei lebendigem Leib zu verrotten. Ausgemergelt und bleich wie der Tod dösten sie auf dem Zellenboden und ließen Arme oder Beine durch das Gestänge baumeln. Mit stumpfem Blick verfolgten sie Dadalores Weg über die Brücke. Die Sklavin bemühte sich, den Blick nicht zu erwidern. Es lag der Dunst von Aussatz und Hoffnungslosigkeit über diesem Ort und das eine mochte so ansteckend sein wie das andere.
    »Hier«, sagte Bamulaus.
    Zwei Wachen, die kaum mehr Leben aufwiesen als die Gefangenen, traten beiseite.
    Die Zelle maß höchstens vier Rechtschritte. Ihre einzige Ausstattung bestand aus einer Pritsche, die nur als Schlafstätte erkennbar war, weil eine grobe Wolldecke darauf lag. Der Zelleninsasse lag mit verrenkten Gliedern auf dem Gestänge neben dem Brett. Sein rechter Arm war durch das Gitter gerutscht und pendelte wie der ganze Käfig sacht hin und her, als wolle der Gefangene sich noch vom Leben verabschieden.
    Dadalore kniete sich neben den Leichnam und tastete die kalte Haut ab. »Es sind keine äußeren Verletzungen vorhanden. Es ist auch der Mühe nicht wert, einen lebenslänglich Inhaftierten zu ermorden.« Sie nahm die Wärter ins Visier. »Wieso habt ihr uns überhaupt gerufen?«
    Die beiden Wachen tauschten einen kurzen Blick. Darauf antwortete der Jüngere, ein hohlwangiger, unrasierter Bursche: »Ich tat gerade Dienst in der Wachstube. Da hörte ich dieses Geräusch.«
    Dadalore hob die Braue. »Was für ein Geräusch?«
    »So als ob etwas sehr Großes zu Bruch gehen würde.«
    »Eine Zellentür?«
    »Nein, eher etwas, das man hier drinnen nicht erwarten würde.« Er kaute auf seiner Lippe. »Es klang wie ein Wagen, der mit einer ganzen Ladung Porzellan umkippt, so in etwa.«
    »Und was habt Ihr danach gemacht?«
    »Ich weckte ... also ich verständigte Tönnogo, wir schnappten unsere Waffen und näherten uns über die Brücken der Ecke, aus der das Geräusch gekommen war.«
    »Wie lange – und

Weitere Kostenlose Bücher