Der Nachtelf (German Edition)
Vergangenheit angehörte. Aber um sicherzugehen, würde sie Waltumpe oder einen Schamanen fragen müssen.
Als sie von der Babatraut-Allee in die Seestraße einbog, blitzte in ihrem Bewusstsein plötzlich etwas auf. Es war ein so kurzer Moment der Erhellung, dass sie das Gesehene nicht richtig zu fassen vermochte, es entglitt ihr noch im gleichen Augenblick, in dem es sie heimsuchte. Zurück blieb nur das vage Gefühl, etwas wahrgenommen zu haben. Das konnte nur bedeuten, dass Valenuru ihr wieder folgte! Sie würde ihn zur Rede stellen, jetzt gleich. Wenn sie erst wartete, bis sie zurück in der Capitalobservationskammer war, gäbe ihm das nur Gelegenheit, alles abzuleugnen.
Die Beamtin drückte sich direkt hinter der Einmündung in einen Hauseingang. Zwar folgten ihr einige neugierige Blicke von Passanten, doch niemand stellte sie zur Rede. Ihr Verfolger würde früher oder später um diese Ecke biegen müssen und dann war alles Abstreiten zwecklos. Sie musterte die Sklaven und Bürger, wohlgenährt und hübsch gewandet, die sich in einem endlosen Strom in die Seestraße ergossen. Es brauchte noch Zeit, der Verfolger war vorsichtig und hielt Abstand.
Was fiel diesem verfluchten Gehilfen eigentlich ein, ihr nachzuspionieren? So hilfreich er sich gezeigt hatte, wenn sie gemeinsam arbeiteten, so sehr hatte sie auch den Eindruck, man dürfe ihn keine Minute aus den Augen lassen. Er schien alle möglichen Eigenmächtigkeiten zu entwickeln bis hin zur völligen Pflichtvergessenheit. Aber halt! Vielleicht war das genau ihr Irrtum. Was wäre, wenn die vermeintlichen Nachlässigkeiten seine eigentlichen Pflichten waren?
Dadalore mahlte mit den Zähnen.
Es ergab durchaus Sinn. Sie zeigte sich Heidugun gegenüber als unfähig, ihren Dienst auszuüben, und er hetzte ihr anschließend einen Aufpasser auf den Hals. Eine Art Mentorensklave für Erwachsene. Jemanden, der keine vordringlichere Aufgabe hatte, als alle Verfehlungen, derer sie sich schuldig machte, einzeln zu protokollieren. Wie hatte der Oberste Staatsschamane noch gesagt? Eines Amtes, das durch göttliches Los vergeben wurde, könne man nicht einfach so enthoben werden. Einfach so vermutlich nicht, aber auf der Grundlage ihres sorgsam dokumentierten Versagens wohl schon eher. Die bloße Vorstellung erzürnte sie so, dass sie sich grimmig ausmalte, wie sie Valenuru dafür gleich zur Rechenschaft zöge.
Der freilich schien sich Zeit zu lassen.
Die Capitalobservatorin war sich ganz sicher, dass er noch nicht an ihrem improvisierten Versteck vorbeigekommen war. Seine hübschen Züge würde sie unter tausenden erkennen.
Wie er sie vorhin angesehen hatte. Seine Berührung hatte gut getan. Wenn sie keine Sklaven Ihrer Majestät wären, würde ihr Herz gewiss empfänglich sein. Aber so fühlte sie natürlich nicht, was sie nicht fühlen durfte. Valenuru hingegen war weniger ... diszipliniert als sie. Das mochte noch zum Problem werden.
Sie zog die Luft zwischen den Zähnen hindurch.
Vielleicht war genau das bereits das Problem? Nicht ein Spion in unseligem Überwachungsauftrag war ihr hier auf den Fersen, sondern ein liebestoller Kollege. Natürlich! Sie hatte für sich jeden Gedanken an ein geschlechtliches Leben so weit ausgeschlossen, dass sie gar nicht mehr gewohnt war, in solchen Bahnen zu denken. Aber ja doch, jetzt fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: sein Blick, seine Berührung! Es war ein Geständnis gewesen, für das ihm nur die Worte fehlten. Vermutlich hatte der arme Tropf dort gestanden und darauf gehofft, dass sie es aussprechen würde. Da hatte er sich gründlich getäuscht. Sie wusste, was sie ihrem Amtseid schuldig war. Und sobald er um diese Ecke bog, würde sie ihn auch an den seinen gebührend erinnern.
Allein, er bog nicht um die Ecke. An Menschen, die das Seeufer entlang promenierten, war kein Mangel, aber Valenuru war nicht darunter. Dadalore stand nun schon eine ganze Weile hier und wusste genug über das unauffällige Observieren, um sicher sagen zu können, dass er längst hätte auftauchen müssen. Wenn man bei der Beschattung eines Verdächtigen den Abstand zu groß werden ließ, konnte man es besser gleich bleiben lassen. In der belebten Stadt mit ihren zahlreichen Möglichkeiten, in verwinkelte Gassen abzubiegen, könnte sie längst sonst wo sein.
Widerwillig gab Dadalore ihr Versteck auf. Es war unmöglich, dass er den Braten gerochen hatte. Bei allem, was sie ihm zutraute, war Um-die-Ecke-Gucken nicht vertreten. Dann musste es
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