Der Nachtelf (German Edition)
Geschöpfe des Abgrunds in den Stein und schienen die Menschen unter ihnen zu verhöhnen und zu bespucken. In der Mitte des Frieses aber prangte das Symbol Sagards, des Hauptmanns der Dunklen Heerscharen: der schwarz gekrönte Totenschädel.
Dadalore hatte nie verstanden, wie man sein Leben dem Verderber der Seelen widmen konnte. Vor ihrer Initiation hatte sie selbst stets nur gehadert, ob sie sich Tyrtalla oder Furuja verschreiben sollte. Nachdem das Los sie zur Capitalobservatorin bestimmt hatte, war ihr die Entscheidung unerwartet leicht gefallen.
Das graue Eingangsportal war geschlossen.
Dadalore war mit den Gepflogenheiten des Sagard-Ritus nicht vertraut. Sie hielt inne und überlegte, ob sie einfach so eindringen dürfe. Ein Türklopfer war nicht zu sehen. Da hörte sie durch das Holz die peitschende Stimme eines Predigers. Hm, es würde wohl weniger stören, wenn sie einfach so hinein schlüpfte.
Sie zog den Türflügel einen Spalt breit auf und wurde sofort von der Dunkelheit verschluckt. Wo im Tyrtalla-Gottesdienst Sonnenlicht durch bunte Gläser glitzerte oder bei Nacht hunderte von Kerzen sich im Goldornat der Priester spiegelten, da regierten hier Dämmerlicht und schwarze Qualmwolken. Einzig der Hexenmeister am Altar glühte rot im Widerschein einer knisternden Schale.
Dadalore zwinkerte durch das Halblicht. Mühsam machte sie eine stehende Menschenmenge aus, der sie sich hinzugesellte. Sie musterte verstohlen die Gläubigen. Viele trugen Sklavenringe, einige waren Bürgerliche. Sogar einen Rettarock glaubte sie zu sehen. Die Leute schienen erschreckend normal. Sie ertappte sich dabei, dass sie insgeheim angenommen hatte, hier lauter zerstörte Fratzen wie jene von Waltumpe anzutreffen mit Ritualnarben und gebrochenen Nasen. Aber nichts dergleichen.
Der Priester wirkte sogar beängstigend charismatisch. Er war stark geschminkt, bleich und ansehnlich. Schwarz umrandet stachen die Augen hervor. Während er predigte, blitzten in kurzen Abständen knochige, weiße Finger aus seinem Ornat hervor und schienen seine Worte noch in der Luft zu zerreißen. Überhaupt ging von der Gestalt eine schwer zu fassende Aggressivität aus, die die Menge in ihren Bann schlug. Dadalore lauschte.
» ... und so schickten die Himmlischen und die Lichtlosen sich an, sich in die erste und letzte Schlacht zu werfen, die die noch junge Welt gesehen hatte.
Da aber erhoben sich zwei Stimmen, die sich abseits der Kontrahenten in aller Stille verständigt hatten: Es waren dies Furuja, die der Himmel ist, und Kalunga, die der Abgrund ist. Und sie sprachen: »Haltet ein, Unsterbliche! Höret, was unser Schiedsspruch sei! Die Welt soll gefügt werden inmitten der Dinge, die da sind. Auf halbem Wege zwischen Himmel und Abgrund sei sie und keinen Fuß breit näher dem Himmel als dem Abgrund und keinen Fuß breit näher dem Abgrund als dem Himmel.«
Da erkannten Sagard und Tyrtalla, dass dies recht war, und sie lobten und priesen die Weisheit ihrer Frauen. So wurden die Dinge gefügt und so sollte die Welt alle Weltalter lang in Frieden bestehen.
Doch es kam anders.
Das Bündnis der Vier war unvollkommen. Denn was die Vier nicht wussten, war, dass in den höchsten Höhen des Himmels sich noch eine fünfte Wesenheit verbarg. Es war dies die undurchschaubare Exu, die Grinsende Göttin. Sie schlich sich hinab in den Abgrund und kaum war sie dort, siehe, da war sie von dämonischer Gestalt und Sagard und Kalunga vermeinten, eine der ihren zu sehen. Die durchtriebene Göttin erschlich sich das Vertrauen des Dämonischen Paares und mehr und mehr ließ man ihr Anteil an den Geschäften der Abgründigen. Exu aber grinste böse und packte mit ihrer gleißenden Klaue in das reine Blut, das die Welt speiste. Und grelles Gift floss in die Welt hinauf und hielt in das Gefüge der Welt Einzug.
Als die Abgründigen dies erkannten, da erfasste sie unheiliger Zorn und sie griffen Exu und ketteten sie an den Mond. Hier sollte sie bis ans Ende aller Zeiten gefesselt sein, damit Sagards Dunkelheit sie verdüstere und schwäche, immer, wenn der Mond der Welt nahekommt.
Und so kämpft die verräterische Mondgöttin Monat für Monat mit dem Abgründigen, das sie bindet. Bei Halbmond aber, wenn der Mond der Welt schon bedenklich nahe kommt, Sagards Dunkelheit ihn aber noch nicht richtig erfasst, so ist Exus Macht stark genug, um erneut in die Welt hinabzusteigen.«
»Lobet die Wahrheit!«, brüllte die Menge um Dadalore herum plötzlich. Es war so
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