Der Nachtelf (German Edition)
Ihrer Majestät.«
»Es ist nur Eure Majestät.«
Der Alte war so verflucht ruhig. »Ich dulde keine Lästerung des Königs, weil ich keine Lästerung der Götter dulde. Himmel, Abgrund und Exu, Ihr seid der oberste noch lebende Vertreter Eurer Religion in Kamboburg, wie könnt Ihr die Ordnung der drei Welten infrage stellen?«
Die Augen des Alten glitten in die Ferne, als er antwortete. »Wir haben schon lange keine Götter mehr, wir sind ganz Wille und Geist. So ist es auch keine Religion mehr, die wir pflegen. Es sei denn eine, deren Gottheit der Mensch ist, der nicht vergöttert werden darf.«
Dadalore hatte das ungute Gefühl, sich auf einen theologischen Disput eingelassen zu haben, den sie nicht gewinnen konnte. Sie könnte das dürre Männlein einfach in der Mitte durchbrechen. Und bei Sagard, das würde sie auch tun, sobald sie ihre Antworten hatte. »Ihr seid erbärmlich«, stellte sie fest. »Ihr habt nicht nur den König verraten, sondern auch Eure eigene Gottheit.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: »Oder war es ein Dämonenkult?«
Rafikifred, falls er es denn überhaupt war, bewegte weiterhin nichts als Lippen und Augen. »Niemand kennt die Vergessene Entität. Als wir uns von ihr lossagten, da tilgten wir alle Erinnerungen an sie mit einem mächtigen Zauber.«
Dadalore lachte auf. »Ha! Jetzt habt Ihr Eure Lügen selbst bloßgestellt. Ihr widersprecht Euch. Wie wollt Ihr denn bitte gezaubert haben, nachdem Ihr Euch von Eurer ... Vergessenen Entität losgesagt habt? Jedes Kind weiß, dass die Magie eine Gabe der Götter und Dämonen ist. Leugnet Euren Herrn und Ihr seid machtlos und verloren in der Welt.«
Ein Rasseln fuhr aus der Kehle des Alten, das ebenso gut Atmen wie Seufzen sein mochte. »Ihr seid den Lügen Eurer Priester erlegen. Es ist nichts als der Wille, der alles schafft. Er macht sich die Welt zu eigen, er wirkt Magie und, ja, er schafft sogar die Dämonen und Götter. Was glaubt Ihr denn, was sie anderes sind, als reine Magie, geschaffen aus dem machtvollen Willen derer, die da sind? Die Jenseitigen geben Euch nicht ihre Macht, sie zehren von der unseren.«
Wellen reinen Zorns durchliefen Dadalore. Ihre Hände formten sich von ganz allein zu Fäusten. Die ungeheure Kraft, die sie in sich trug, schrie danach, endlich entfesselt zu werden. Und wer hätte ihre Wut eher verdient, als dieser blasphemische Greis? Seine Arroganz war unbeschreiblich, sich einfach über Götter und Dämonen zu stellen. Und was erst, wenn er damit recht hatte, dass die Eremiten wirklich einen Gott oder Dämon in Vergessenheit hatten sinken lassen? Diese Irren gefährdeten in ihrem Wahn die Ordnung der Welt. Unwillkürlich wanderte Dadalores Faust auf ihre Brust, dorthin, wo unter dem Rettarock das Tyrtalla-Amulett hing. Möge der goldene Affe ihre Schritte lenken, dass sie nie so überheblich und bösartig würde wie dieser entsetzliche Greis! Mühsam presste sie zwischen den Zähnen hervor: »Ich bin nicht hier, um mir Eure lästerlichen Ansichten anzuhören. Ich bin im Namen Tyrtallas und seiner göttlichen Gesetze hier. Und Ihr werdet mir Rede und Antwort stehen, das schwöre ich Euch bei der Glorie Ihrer Majestät. Ansonsten ramme ich Euren schönen Turm mit der Spitze voran in den Erdboden, habt Ihr mich verstanden?«
Das Flüstern, das seinen Mund verließ, war so unbeteiligt, dass sie nur noch mehr in Rage geriet. »Ihr könnt mir nicht drohen, Dadalore-Was-soll-das-Dunkle-nachts. Bescheiden waren wir ehedem. Aber im siebten Jahrhundert ließen wir vollends hinter uns, was diese Welt uns bot. Wir entsagten allem: der Herrschaft, der Verehrung, der Güter, des Goldes und schließlich auch der Vergessenen Entität. Ja, so viel bescheidener noch waren wir nun, dass wir selbst auf jenes jenseitige Wesen verzichteten, das uns vom Anbeginn der Zeiten an geleitet hatte, so total war unsere Abstinenz. Und wir forderten von den Gläubigen Gefolgschaft ein, wohl wissend, wie nötig dieses Reich es hatte, das sich schon seit langer Zeit auf einem unseligen Weg befand. Aber wir hatten das Verhängnis unterschätzt. Zu schlimm waren die Zustände bereits, zu weit fortgeschritten der Verfall. So wurden wir nicht wie erhofft zum leuchtenden Vorbild eines Neubeginns. Nein, stattdessen feindeten uns die Menschen an, verbreiteten Lügen über uns und schließlich griffen sie sogar zu den Waffen, wo immer sie unserer ansichtig wurden. Da wussten wir, dass dieses Reich verloren war und dass unsere
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