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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Tillmanns
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war, sich die Dinge untertan zu machen? Endlich war die Welt, wie sie sein sollte. Nur der Turm war zu hoch, aber es stand ihr ja frei, ihn nach ihrem Besuch um ein Dutzend Stockwerke zu erleichtern.
    Dadalore sprang stärker als zuvor. Sie kollidierte mit der Außenmauer, die wie morsches Holz unter ihrer Schulter wegbröselte. Ein Durchbruch! Man sah einige Mauersteine draußen in die Tiefe stürzen. Die Beamtin lachte. Sie war noch lange nicht mit voller Kraft gesprungen. Wenn sie das täte, könnte dieses lachhafte Bauwerk sie nicht mehr halten. Sie behielt das Tempo bei und bog nur die Schulter ein wenig ein. Immer wieder platzten nun Steine aus der Wand, wenn sie dagegen krachte. Dafür schaffte sie nun in einem Satz zehn Stufen und mehr. Und noch immer war sie himmelweit davon entfernt, ihre ganze Kraft einzusetzen. Diese Stadt war einfach zu klein für sie.
    Ob sie sich noch einen kleinen Sprung gönnen sollte? Ach, warum nicht, der Turm stand schon über hundert Jahre, der würde so schnell nicht zusammenbrechen. Dadalore stieß sich ab. Sie schoss senkrecht in die Höhe und durchschlug die Stufen über sich. Erst eine weitere zwei Schritte höher gelegene Decke stoppte sie. Dadalore fiel auf einen ebenen Boden neben der obersten Stufe zurück. Ein Schwall aus Staub und Steinsplittern hatte sie erst aufwärts begleitet und regnete nun auf sie herab.
    Sie lachte, wie sie noch nie in ihrem Leben gelacht hatte. Ihre Brust hüpfte auf und ab, ihr Leib krümmte und schüttelte sich. Mit der Zeit wurden die Wellen, die sie überliefen, schwächer. Sie seufzte noch einmal herzhaft und wurde ruhig.
    Sie hatte das Ende der Treppe erreicht. Statt der winzigen Schießscharten, die hinter ihr lagen, gab es hier oben richtige, zwiebelförmige Fenster. Dadurch waren Wolken zu sehen, die seltsam nah wirkten. Um sie herum war nichts außer einem zerstörten Treppenabsatz und einem kahlen Vorraum. Die Tür zum Hauptraum stand offen.
    Eine Stimme wie der Klang alten Leders knarzte heraus: »Tretet nur ein, Dadalore-Was-soll-das-Dunkle-nachts.«
    Die Sklavin erschrak und rappelte sich rasch auf. Nun gut, deswegen war sie hier. Sie straffte sich und klopfte den Dreck aus ihrem Rettarock. Dann sortierte sie akribisch ihre Haare. Schließlich trat sie ein.
    Der Raum machte fast die gesamte Turmspitze aus und war dennoch klein. Und er war kahl. Es gab eine Liegestatt, die eben so bescheiden war, wie ihre eigene zuhause. Ansonsten fehlte es an jeglicher Einrichtung, an Möbeln, Teppichen, Bildern, es war einfach alles fort, was ein wenig Wohnlichkeit hätte schaffen können. Es war nicht einmal eine Essecke oder ein Abort zu sehen. Dadalore hätte es nie für möglich gehalten, dass hier jemand lebte. Aber der Beweis hockte vor ihr im Schneidersitz auf dem Boden: Rafikifred war uralt. Die braune Haut hing ihm schlaff von den Knochen herab. Er war unglaublich dürr und da er nur einen Lendenschurz trug, staken die Rippen einzeln heraus, nur mühsam bedeckt von einem schlohweißen Bart, der bis auf die Brust herab reichte. Die Wangen des Eremiten waren eingefallen, darüber lagen zwei wache Augen tief in den Höhlen.
    Dadalore ließ ein Schnauben hören. Was für ein Schwächling! »Ihr könnt unmöglich Rafikifred, der letzte Eremit, sein.«
    Als der Alte antwortete, waren die Bewegungen der farblosen Lippen kaum wahrnehmbar in den wuchernden Bart. »Das bin ich auch nicht. Ich bin nur Rafikifred, der letzte im Reich verbliebene Eremit.«
    »Mit Haarspaltereien könnt Ihr mir nicht ausweichen! Ich sage: Ihr könnt unmöglich zweihundert Jahre alt sein. Mit so etwas beeindruckt Ihr vielleicht das abergläubische Volk, aber nicht mich.«
    »Die Kraft meines Willens hält mich aufrecht.«
    Die Beamtin schüttelte den Kopf. »Euer Wille muss gut schmecken, denn in einen verschlossenen Turm gelangt auch kein Essen hinein. Ich habe Euch durchschaut, Zauberer, Ihr vermögt mit Hilfe Eurer Magie zu kommen und zu gehen, wie es Euch beliebt. Und die Rolle des Rafikifred wird von Euch vermutlich schon in fünfter oder sechster Generation gespielt.« Selbst ihre Stimme war kräftiger als sonst.
    Rafikifreds Antwort war kaum mehr als ein Flüstern: »Euer Mangel an Einsicht erklärt Euren Mangel an Umsicht.«
    Jetzt bemerkte Dadalore, was ihr an dem Greis so missfiel: Er trug keinen Sklavenring, obschon an seinem Hals noch deutlich die Spuren des Stahls erkennbar waren. »Und Euer Mangel an Einsicht zeigt sich in der Missachtung der Gesetze

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