Der Nachtzirkus
lassen diesen Ort und das Spiel hinter uns und fangen irgendwo anders von vorn an, ernsthaft.«
Marco schließt die Augen und malt es sich in Gedanken aus, konzentriert sich nicht auf die Wunschvorstellung, sondern auf die praktische Durchführbarkeit. Er stellt sich die banalsten Einzelheiten vor: die Übergabe von Chandreshs Büchern an einen neuen Buchhalter, das Packen der Koffer in seiner Wohnung, bis hin zu den Eheringen an ihren Fingern.
Im selben Moment fängt seine rechte Hand an zu brennen, der scharfe, durchdringende Schmerz schießt von der Narbe um seinen Finger den Arm hoch und verdunkelt jeden Gedanken in seinem Kopf. Es ist derselbe Schmerz wie damals, als die Narbe entstand, nur tausendfach stärker.
Das Schiff steht augenblicklich still. Das Papier zerbröselt und das Tintenmeer verblasst, zurück bleibt nur ein Kreis aus Stühlen in einem gestreiften Zelt, wo Marco zu Boden fällt.
Der Schmerz verebbt allmählich, als Celia sich neben ihn kniet und seine Hand nimmt.
»Am Abend der Geburtstagsfeier«, sagt sie. »Der Abend, an dem du mich geküsst hast. Damals dachte ich auch daran. Ich wollte nicht mehr weiterspielen, ich wollte nur noch bei dir sein. Ich wollte dich fragen, ob du mit mir durchbrennst, und es war mir ernst. In dem Augenblick, als ich mir eingeredet hatte, wir könnten es schaffen, überkam mich ein so starker Schmerz, dass ich kaum noch stehen konnte. Friedrick wusste nicht, was mit mir los war. Er hat mich in eine ruhige Ecke gesetzt, mir die Hand gehalten und nicht weiter nachgefragt, als ich es nicht erklären konnte. Er ist wirklich sehr nett.«
Sie betrachtet die Narbe auf Marcos Hand, während er mühsam um Atem ringt.
»Ich dachte, es hat vielleicht mit dir zu tun«, sagt sie. »Deshalb bin ich einmal bei der Abfahrt des Zuges nicht eingestiegen, und das war genauso schmerzhaft. Wir sind restlos gebunden.«
»Du wolltest mit mir durchbrennen«, sagt Marco lächelnd, obwohl seine Hand immer noch schmerzt. »Ich wusste nicht, dass dieser Kuss so wirkungsvoll war.«
»Du hättest dafür sorgen können, dass ich ihn vergesse, ihn aus meiner Erinnerung streichen können, wie du es bei den anderen auf dem Fest getan hast.«
»Das war nicht besonders leicht«, sagt Marco. »Außerdem wollte ich nicht, dass du ihn vergisst.«
»Hätte ich auch nicht gekonnt. Wie geht es dir?«
»Erbärmlich. Aber der Schmerz lässt langsam nach. An dem Abend habe ich Alexander gesagt, dass ich aufhören will. Offenbar war es mir nicht ernst. Ich wollte nur eine Reaktion von ihm.«
»Wahrscheinlich sollen wir nicht das Gefühl haben, dass wir gefangen sind«, sagt Celia. »Wir spüren die Gitter nur, wenn wir daran rütteln. Mein Vater meint, es wäre einfacher, wenn wir uns nicht so viel miteinander beschäftigen würden. Vielleicht hat er recht.«
»Ich habe es versucht«, sagt Marco und umfasst ihr Gesicht mit den Händen. »Ich habe versucht, dich gehen zu lassen, aber ich kann nicht. Ich denke unentwegt an dich. Ich träume unentwegt von dir. Empfindest du nicht dasselbe für mich?«
»Doch«, sagt Celia. »Du bist immer bei mir. Ich sitze im Eisgarten, um einen Hauch von dem Gefühl zu bekommen, das du mir vermittelst. Ich habe es schon gespürt, bevor ich wusste, wer du bist, und immer wenn ich denke, es kann nicht mehr stärker werden, tut es das doch.«
»Was hält uns dann davon ab, jetzt zusammen zu sein?«, fragt er. Seine Hand gleitet von ihrem Gesicht herab und an ihrem Ausschnitt entlang.
»Ich möchte ja«, sagt Celia und holt tief Luft, als seine Hände weiter abwärtswandern. »Glaub mir, ich möchte es. Aber es geht nicht nur um dich und mich. In dieses Spiel sind so viele Leute verstrickt. Es wird immer schwerer, alles in Ordnung zu halten. Und das« – sie legt ihre Hände auf seine – »das ist äußerst ablenkend. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn ich meine Konzentration verliere.«
»Du hast keine Kraftquelle«, sagt er. Celia sieht ihn verwirrt an.
»Eine Kraftquelle?«, wiederholt sie.
»So wie ich das Feuer benutze, als Verbindung. Ich borge mir Energie vom Feuer. Hast du nichts Vergleichbares? Arbeitest du nur aus dir selbst?«
»Eine andere Methode kenne ich nicht«, erwidert Celia.
»Du kontrollierst den Zirkus ständig?«, fragt Marco.
Celia nickt. »Ich habe mich daran gewöhnt. Meistens ist es machbar.«
»Das muss unglaublich aufreibend sein.«
Er küsst sie sanft auf die Stirn, dann lässt er sie los, bleibt ihr aber so nah wie
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