Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
Vom Netzwerk:
dir verlangen. Aber ich glaube … Nein, ich glaube es nicht, ich weiß es. Ich weiß, wenn du nicht mit uns kommst, kehren wir nicht mehr zurück.«
    »Ihr kehrt nicht mehr hierher zurück? Warum?«
    »Wir kehren nirgendwohin mehr zurück«, sagt Poppet. Sie blickt noch einmal mit düsterem Gesicht nach oben, dann wendet sie sich wieder an Bailey. »Wenn du nicht mit uns kommst, gibt es keinen Zirkus mehr. Und frag mich nicht, warum, sie nennen mir keinen Grund.« Sie macht eine Handbewegung in Richtung Himmel, zu den Sternen hinter den Wolken. »Sie sagen mir nur, wenn es in Zukunft einen Zirkus geben soll, dann musst du dort sein. Du, Bailey. Du und ich und Widge. Ich weiß nicht, warum es wichtig ist, dass wir zu dritt sind, aber so ist es. Wenn nicht, bricht alles auseinander. Es hat schon angefangen.«
    »Wovon redest du? Mit dem Zirkus ist doch alles in Ordnung.«
    »Ich weiß nicht, ob man es auch von außen merkt. Es ist … Wenn eins deiner Schafe krank wäre, würde ich das merken?«
    »Wahrscheinlich nicht«, sagt Bailey.
    »Würdest du es merken?«, fragt Poppet.
    Bailey nickt.
    »Genauso verhält es sich mit dem Zirkus. Ich weiß, wie er sich anfühlen muss, und im Moment fühlt er sich nicht so an, schon seit einiger Zeit nicht mehr. Ich merke genau, dass etwas nicht stimmt, und ich spüre, dass er zerfällt wie ein Kuchen, auf dem nicht genügend Zuckerguss ist, um ihn zusammenzuhalten, aber ich weiß nicht, was es ist. Ergibt das einen Sinn?«
    Bailey starrt sie nur an, und sie seufzt.
    »Erinnerst du dich noch an den Abend im Labyrinth? Als wir in dem Vogelkäfigraum festgesteckt haben?«
    Bailey nickt.
    »Das ist mir noch nie zuvor im Labyrinth passiert. Nie. Wenn wir den Ausgang aus einem Raum oder einem Flur nicht finden, konzentriere ich mich, und dann spüre ich, wo die Türen sind. Ich weiß genau, was sich hinter ihnen befindet. Meistens mache ich davon keinen Gebrauch, weil es dann nämlich nicht so lustig ist, aber an dem Abend habe ich mich konzentriert, und es hat nicht gewirkt. Alles fühlt sich immer fremder an, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.«
    »Aber wie kann ich dabei helfen?«, fragt Bailey.
    »Du warst es, der den Schlüssel schließlich gefunden hat, erinnerst du dich?«, sagt Poppet. »Ich suche ständig nach Antworten und möchte das Richtige tun, aber nichts ist klar, außer dem mit dir. Ich weiß, es ist zu viel von dir verlangt, dein Zuhause und deine Familie zu verlassen, aber der Zirkus ist mein Zuhause und meine Familie, ich darf ihn nicht verlieren. Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern kann. Tut mir leid.«
    Sie setzt sich auf die Steinmauer, das Gesicht von ihm abgewendet. Bailey, der noch immer die Wiese und die unverbesserlichen Schafe betrachtet, gesellt sich zu ihr. Schweigend sitzen sie eine Weile da. Die Schafe wandern in trägen Kreisen und knabbern am Gras.
    »Gefällt es dir hier, Bailey?«, fragt Poppet und blickt hinüber zur Farm.
    »Nicht besonders.«
    »Hast du dir schon mal gewünscht, dass jemand kommt und dich wegholt?«
    »Hat Widge dir das erzählt?«, fragt Bailey und überlegt, ob sein Wunsch so stark ist, dass er ihm ins Gesicht geschrieben steht.
    »Nein«, sagt Poppet. »Das war nur geraten. Aber Widge hat mich gebeten, dir das zu geben.« Sie holt eine kleine Glasflasche aus ihrer Tasche und gibt sie ihm.
    Bailey weiß, dass die Flasche wahrscheinlich nicht leer ist, auch wenn sie so aussieht, und er ist zu neugierig, um sie nicht augenblicklich zu öffnen. Er zieht den kleinen Stöpsel heraus, froh darüber, dass er mit einem kleinen Stück Draht an der Flasche befestigt ist.
    Das Gefühl innen ist so vertraut, so tröstlich und erkennbar und echt, dass Bailey die Rauheit der Rinde spürt, den Duft der Eicheln riecht und sogar das Schnattern der Eichhörnchen hört.
    »Er wollte, dass du deinen Baum immer bei dir behalten kannst«, sagt Poppet. »Falls du dich dafür entscheidest, mit uns zu gehen.«
    Bailey steckt den Stöpsel wieder in die Flasche. Eine ganze Weile sagen beide nichts. Der Wind zieht an Poppets Haar.
    »Wie viel Zeit bleibt mir, um darüber nachzudenken?«, fragt Bailey leise.
    »Wir reisen ab, wenn der Zirkus heute Nacht schließt«, sagt Poppet. »Der Zug steht vor Tagesanbruch bereit, aber es wäre besser, wenn du früher kommen könntest. Die Abfahrt gestaltet sich manchmal ein bisschen … schwierig.«
    »Ich denke drüber nach«, sagt Bailey. »Aber ich kann nichts versprechen.«
    »Danke, Bailey«,

Weitere Kostenlose Bücher