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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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Stunden zurückgehaltenen Tränen strömen ihr aus den Augen.
    Marco eilt durchs Zimmer und zieht sie an sich.
    »Es tut mir leid«, sagt er immer und immer wieder über ihr Schluchzen hinweg, bis sie sich beruhigt und ihre angespannten Schultern in seinen Armen locker werden.
    »Er war mein Freund«, sagt sie leise.
    »Ich weiß.« Marco wischt ihr die Tränen ab und hinterlässt dabei Tintenflecken auf ihren Wangen. »Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, was passiert ist. Etwas hat das Gleichgewicht gestört, aber ich weiß nicht, was.«
    »Es war Isobel«, sagt Celia.
    »Was?«
    »Der Zauber, mit dem sie den Zirkus belegt hat, dich und mich. Ich wusste davon, ich konnte es spüren. Ich dachte, er könnte uns nicht viel anhaben, aber offenbar lag ich falsch. Ich weiß nicht, warum sie ausgerechnet den heutigen Abend gewählt hat.«
    Marco seufzt.
    »Weil ich ihr endlich gesagt habe, dass ich dich liebe«, antwortet er. »Ich hätte es ihr schon vor Jahren sagen sollen, aber ich habe es erst heute getan. Ich dachte, sie hätte es gut aufgenommen, aber ich habe mich offenbar getäuscht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was Alexander dort wollte.«
    »Ich hatte ihn eingeladen.«
    »Aber warum?«
    »Ich wollte ein Urteil«, antwortet Celia, und ihr treten erneut Tränen in die Augen. »Ich wollte, dass alles vorbei ist, damit ich bei dir sein kann. Ich dachte, wenn er in den Zirkus kommt, könnte ein Sieger bestimmt werden. Ich weiß nicht, wie sie es sonst entscheiden wollen. Woher wusste Chandresh, dass er dort war?«
    »Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist, dass er so unbedingt hinwollte. Er bestand darauf, dass ich ihn nicht begleite, deshalb bin ich ihm heimlich gefolgt. Ich habe ihn nur kurz aus den Augen verloren, als ich zu Isobel ging, um mit ihr zu reden, und als ich ihn wieder eingeholt hatte …«
    »Hattest du auch das Gefühl, als wäre dir der Boden unter den Füßen weggezogen worden?«
    Marco nickt.
    »Ich wollte Chandresh vor sich selbst beschützen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er für irgendwen eine Gefahr sein könnte.«
    »Was ist das alles?«, fragt Celia und zeigt auf den Schreibtisch mit den vielen Büchern voller Glyphen und Symbole, eingekreisten Textstellen, die aus anderen Quellen ausgerissen, aneinandergeklebt und immer wieder überschrieben wurden. In der Mitte des Schreibtischs liegt ein großes, in Leder gebundenes Buch. Auf den Innendeckel ist etwas geklebt, umgeben von einem kunstvoll beschriebenen Baum, das Celia als Zeitungsausschnitt erkennt. Das einzige Wort, das sie entziffern kann, ist transzendent .
    »So arbeite ich«, sagt Marco. »Dieses Buch verbindet alle im Zirkus. Es ist die Absicherung, ein besserer Ausdruck fällt mir nicht ein. Vor der Feuerzeremonie habe ich eine Abschrift in den Kessel gelegt, aber bei diesem habe ich einiges verändert.«
    Celia blättert die Seiten mit den Namen durch. Auf einer entdeckt sie einen Papierfetzen mit der geschwungenen Unterschrift von Lainie Burgess, und daneben eine hellere, leere Stelle, wo ein gleich großes Stück herausgerissen wurde.
    »Ich hätte Herrn Thiessen mit aufnehmen sollen«, sagt Marco. »Daran hatte ich nie gedacht.«
    »Wenn es ihn nicht getroffen hätte, dann einen anderen Besucher. Wir können nicht alle beschützen. Unmöglich.«
    »Es tut mir leid«, sagt Marco wieder. »Ich kannte Herrn Thiessen nicht so gut wie du, aber ich habe ihn und seine Arbeit sehr bewundert.«
    »Er hat mir den Zirkus auf eine Weise gezeigt, wie ich ihn zuvor nie gesehen hatte«, sagt Celia. »Wie er von außen wirkt. Wir haben uns jahrelang Briefe geschrieben.«
    »Ich hätte dir auch gern geschrieben, wenn ich in Worte fassen könnte, was ich dir sagen möchte. Ein Meer aus Tinte würde nicht dazu reichen.«
    »Aber stattdessen hast du für mich Träume erschaffen«, sagt Celia und blickt zu ihm hoch. »Und ich habe für dich Zelte erschaffen, die du nur selten siehst. Ich hatte immer so viel von dir um mich herum und konnte dir nichts geben, was dir bleibt.«
    »Ich habe immer noch deinen Schal«, sagt Marco.
    Sie lächelt leicht und schließt das Buch. Die verschüttete Tinte daneben sickert zurück ins Glas, das sich aus den Scherben wieder zusammenfügt.
    »Ich glaube, mein Vater würde das ›von außen nach innen arbeiten‹ nennen«, sagt sie. »Er hat immer davor gewarnt.«
    »Dann würde er das andere Zimmer verabscheuen«, sagt Marco.
    »Welches Zimmer?«, fragt Celia. Das

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