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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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er gegenüber seiner frisch offenbarten Gegnerin anwenden kann.
    Er wälzt ihren Namen im Kopf hin und her.
    »Wie heißt Prosperos Tochter eigentlich?«, fragt Isobel, als könnte sie seine Gedanken lesen.
    »Bowen«, antwortet Marco. »Sie heißt Celia Bowen.«
    »Ein schöner Name«, sagt Isobel. »Ist irgendwas mit deiner Hand?«
    Marco blickt auf seine Hände und stellt überrascht fest, dass er die rechte in der linken hält und unbewusst über die Stelle streicht, an der sich einst ein Ring in seine Haut gebrannt hatte.
    »Nein«, sagt er und nimmt schnell ein Notizbuch in die Hand. »Nicht der Rede wert.«
    Isobel ist mit der Antwort offenbar zufrieden, denn sie hebt einen Bücherstapel vom Boden auf und legt ihn auf den Schreibtisch.
    Marco ist erleichtert, dass sie ihm die Erinnerung an den Ring nicht entreißen kann.

FEUER UND LICHT

    Du trittst auf einen hellen, offenen Platz, umgeben von gestreiften Zelten.
    Dahinter führen gewundene Wege zu geheimnisvollen Orten mit funkelnden Lichtern.
    Verkäufer schlendern durch die Menge. Sie verkaufen Erfrischungen und Kuriositäten, Leckereien, gewürzt mit Vanille und Honig, Schokolade und Zimt.
    Eine Schlangenfrau in einem glitzernden schwarzen Kostüm steht auf einem Podest in der Nähe und verrenkt ihren Körper in unmögliche Formen.
    Ein Jongleur wirft schwarze, weiße und silberne Kugeln hoch in die Luft, wo sie zu schweben scheinen, ehe sie wieder in seine Hände fallen und sein aufmerksames Publikum applaudiert.
    Und alles ist in strahlendes Licht getaucht.
    Das Licht entspringt einem großen Feuer in der Mitte des Platzes.
    Im Nähertreten siehst du, dass das Feuer in einem breiten schwarzen Eisenkessel brennt, der auf mehreren Klauenfüßen steht. Dort, wo bei einem normalen Kessel der Rand wäre, befinden sich lange Streifen aus geringeltem Eisen, als wäre es geschmolzen und auseinandergezogen worden wie Karamell. Das gewundene Eisen endet in sich einrollenden Spitzen, die sich mit den anderen Eisenstreifen verflechten und allem eine käfigartige Wirkung verleihen. Die Flammen sind in den Lücken dazwischen sichtbar und erheben sich leicht über die Eisenspitzen. Nur am Boden sind sie verdeckt, und man kann unmöglich sagen, was da eigentlich brennt – ob Holz, Kohle oder etwas vollkommen anderes.
    Die züngelnden Flammen sind weder gelb noch orange, sondern weiß wie Schnee.

Verborgenes
    CONCORD, MASSACHUSETTS, OKTOBER 1902
    D ie Auseinandersetzungen um Baileys Zukunft finden seit langem und häufig statt, doch inzwischen münden sie oft in gebetsmühlenartige Wiederholungen und angespanntes Schweigen.
    Bailey macht Caroline dafür verantwortlich, aber eigentlich hat seine Großmutter mütterlicherseits die Sache ins Rollen gebracht. Da er seine Großmutter jedoch weit mehr liebt als seine Schwester, schiebt er die ganze Schuld auf Caroline. Hätte sie nicht nachgegeben, müsste er jetzt nicht so kämpfen.
    Es begann mit einem als Vorschlag umschriebenen Wunsch ihrer Großmutter, der im Grunde recht harmlos klang: Caroline sollte das Radcliffe College besuchen.
    Und allem Anschein nach war Caroline von der Idee auch sehr angetan, als sie beim Tee im Salon ihrer Großmutter in Cambridge saß, umgeben von Blümchentapeten und üppigen Polstermöbeln.
    Aber Carolines Entschlossenheit schwand, als sie wieder in Concord waren und ihr Vater ein Machtwort sprach.
    »Kommt nicht in Frage.«
    Caroline nahm es mit einem flüchtigen Schmollen hin und sagte sich, dass es wahrscheinlich ohnehin zu anstrengend wäre, und aus der Stadt machte sie sich auch nicht besonders viel. Außerdem hatte Millie sich verlobt, und es gab eine Hochzeit zu planen, ein Thema, das Caroline viel mehr interessierte als ihre künftige Bildung.
    Und damit war die Sache erledigt.
    Dann kam die Antwort aus Cambridge und der großmütterliche Bescheid, das mit Caroline gehe in Ordnung, aber Bailey müsse natürlich in Harvard studieren.
    Dies war kein vorsichtig umschriebener Wunsch, sondern eine schlichte Forderung. Und finanzielle Einwände wurden, noch ehe sie erhoben werden konnten, durch die klare Feststellung beiseitegewischt, für das Studiengeld sei gesorgt.
    Die Streiterei fing schon an, bevor man Bailey überhaupt nach seiner Meinung fragte.
    »Ich würde gern in Harvard studieren«, sagte er, als sich ihm die Gelegenheit dazu bot.
    »Du übernimmst die Farm«, lautete die Antwort seines Vaters.
    Am besten wäre es gewesen, das Thema fallenzulassen und später wieder

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