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Der Nachtzirkus

Der Nachtzirkus

Titel: Der Nachtzirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Morgenstern
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an.«
    »Was für ein Kostüm benötigen Sie?«, fragt Celia.
    »Wir haben ein festes Farbkonzept, meine Liebe«, sagt Mme. Padva. »Oder besser gesagt ein Farbloskonzept. Ausschließlich schwarz und weiß. Aber ganz in Schwarz sehen Sie vielleicht zu sehr nach Beerdigung aus.«
    »Verstehe«, sagt Celia.
    Mme. Padva steht auf und geht den Gang hinunter zu Chandresh, der immer noch auf und ab läuft. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr, worauf er Celia kurz den Rücken zukehrt und sich mit Mme. Padva berät.
    Nur Marco beobachtet, wie sie vollkommen reglos auf der Bühne steht und geduldig wartet. Und dann verändert sich ganz allmählich ihr Kleid.
    Vom Ausschnitt abwärts läuft ein finsteres Nachtschwarz wie Tinte über die grüne Seide.
    Marco verschlägt es den Atem. Chandresh und Mme. Padva drehen sich um und sehen gerade noch rechtzeitig, wie das vorankriechende Schwarz am Rocksaum in gleißendes Schneeweiß übergeht, bis jede Spur von Grün restlos verschwunden ist.
    »Nun, das erleichtert mir die Arbeit erheblich«, sagt Mme. Padva, aber sie kann die Freude in ihrem Blick nicht verbergen. »Obwohl mir Ihr Haar vielleicht eine Spur zu hell erscheint.«
    Celia schüttelt den Kopf, und ihre braunen Locken verfärben sich zu einem Schwarz, so glänzend und ebenholzfarben wie die Flügel ihres Raben.
    »Fabelhaft«, sagt Chandresh wie zu sich selbst.
    Celia lächelt nur.
    Mit zwei Sätzen springt Chandresh die kleine Treppe zur Bühne hinauf und inspiziert Celias Kleid von allen Seiten.
    »Darf ich?«, fragt er, ehe er vorsichtig den Rockstoff befühlt. Celia nickt. Die Seide ist unbestreitbar schwarz und weiß, am Übergang zartgrau, die Gewebefasern sind deutlich zu erkennen.
    »Was ist Ihrem Vater zugestoßen, wenn ich Ihnen mit dieser Frage nicht zu nahe trete?«, fragt Chandresh und begutachtet weiterhin ihr Kleid.
    »Sie treten mir nicht zu nahe«, sagt Celia. »Einer seiner Zaubertricks lief nicht ganz wie geplant.«
    »Eine verflixte Schande«, sagt Chandresh und tritt einen Schritt zurück. »Miss Bowen, wären Sie vielleicht an einem ziemlich einzigartigen Engagement interessiert?«
    Er schnippt mit den Fingern, worauf Marco mit seinem Notizbuch näher tritt und ein paar Schritte von Celia entfernt stehen bleibt und abwechselnd sehr lange auf ihr Kleid und ihre Haare starrt.
    Bevor Celia antworten kann, hallt ein Krächzen durchs Theater, das von dem Raben stammt, der noch immer auf der Galerie sitzt und neugierig die Szene beobachtet.
    »Einen Augenblick, bitte.« Celia hebt ihre Hand graziös dem Raben entgegen, der daraufhin noch einmal krächzt, die großen Flügel ausbreitet und sich in die Luft erhebt. Mit wachsender Geschwindigkeit fliegt er zur Bühne hinab, direkt auf Celia zu, ohne auszuweichen oder langsamer zu werden, sondern mit vollem Tempo. Chandresh springt erschrocken zurück und fällt beinahe auf Marco, als der Rabe sich in einem Gestöber von Federn auf Celia stürzt.
    Und dann ist er weg. Nicht eine Feder ist mehr zu sehen, und Celia trägt wieder ihre schwarze zugeknöpfte Puffärmeljacke über dem schwarzweißen Kleid.
    Mme. Padva applaudiert vorne im Parkett.
    Celia verbeugt sich und nutzt die Gelegenheit, ihre Handschuhe vom Boden aufzuheben.
    »Sie ist perfekt«, bemerkt Chandresh und zieht eine Zigarre aus seiner Tasche. »Absolut perfekt.«
    »Ja«, sagt Marco hinter ihm, und das Notizbuch in seiner Hand zittert leicht.

Strategie
    LONDON, APRIL 1886
    S ie ist zu gut, um draußen in der Menschenmenge aufzutreten«, sagt Chandresh. »Sie braucht unbedingt ein eigenes Zelt. Vielleicht ordnen wir die Sitze ringförmig an, damit das Publikum mitten im Geschehen ist.«
    »Ja, Sir.« Marco fummelt an seinem Notizbuch herum und fährt über die Seiten, die Minuten zuvor noch Flügel waren.
    »Was ist denn bloß mit dir los?«, fragt Chandresh. »Du bist ja kreidebleich.« Seine Stimme hallt durch das leere Theater, in dem sie allein auf der Bühne stehen, nachdem Mme. Padva Miss Bowen entführt hat, um sie mit Kleider- und Frisurenfragen zu löchern.
    »Mir geht es gut«, sagt Marco.
    »Du siehst schrecklich aus«, sagt Chandresh und pafft an seiner Zigarre. »Geh nach Hause.«
    Marco sieht überrascht zu ihm auf. »Aber es muss noch Schreibarbeit erledigt werden«, protestiert er.
    »Mach das morgen, dafür ist noch reichlich Zeit. Tante Padva und ich nehmen Miss Bowen zum Tee mit nach Hause, die Einzelheiten und den Papierkram können wir später regeln. Ruh dich aus, geh was trinken

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