Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer
vorbei. Es gab einen dumpfen Aufprall, fast gleichzeitig einen widerlichen Knacks, danach war es augenblicklich still. Peter sah ihr mit vor Schreck geweiteten Augen nach, nahm wie durch einen Nebel die unnatürliche Haltung wahr, in der sie jetzt da lag. Dann bemerkte er, dass hinter ihm im Zimmer Licht gemacht wurde. Schnell kletterte er das Gerüst hinab. Ihm blieb keine Zeit mehr, noch nach Sarah zu sehen, denn er hörte bereits Stimmen, die näher kamen und nach ihr riefen. Lautlos verschwand er im Gebüsch des Nachbargartens und erfuhr am nächsten Tag von Sarahs Tod.
Heinz Beck gestand betrübt und ohne Umschweife, am Abend zuvor mit ihr zusammen gewesen zu sein und sie nach Hause gebracht zu haben. Der hilflose Zorn von Sarahs Mutter richtete sich am Tag der Beisetzung öffentlich gegen ihn. Nicht einmal die einfühlsamen Worte des Pfarrers brachten sie davon ab. Mit Fäusten trommelte sie auf Heinz’ breite Brust ein, beschimpfte ihn, das Mädchen ausgenutzt zu haben. Beschimpfte ihn, weil er zugelassen hatte, dass Sarah alleine das Gerüst hinaufgestiegen und abgestürzt war. So spie sie Anschuldigung um Anschuldigung gegen ihn aus, bis es ihrem Mann und ihrem Bruder schließlich gelang, sie beruhigen. Diese Szenen waren noch lange Zeit später das Gesprächsthema im ganzen Dorf.
Und auch er war dabei gewesen. Sein Blick fiel wieder auf das alte Gesicht der trauernden Mutter. Sie hing ihren Gedanken nach. Er musterte nach wie vor ihr Profil und fand große Übereinstimmungen mit Sarah. Die gleiche feine, gerade Nase. Die hohe Stirn und der volle Mund. Und für ihr Alter immer noch eine erstaunlich glatte Haut. Er ahnte, dass Sarah, wäre sie älter geworden, ihrer Mutter sehr ähnlich sehen würde.
Sollte er der alten Dame hier und jetzt sagen, dass er ihre Tochter einst nicht bloß gekannt, sondern wie wahnsinnig geliebt hatte? Vielleicht besser nicht.
Im gleichen Moment murmelte Frau Wildenbroich: „Sie sind ein guter Mensch. Dass Sie nach all der Zeit noch an meine Sarah denken, das ist sehr feinfühlend von Ihnen. Wie war doch Ihr Name, junger Mann?“
„Peter“, entgegnete er. „Peter Müller. Ich habe früher in der Bergstraße gewohnt.“
Jetzt wandte er sich zum Gehen. Er konnte der alten Frau nicht in die Augen schauen. Kurz noch hielt er inne. „Es tut mir sehr leid, was passiert ist.“ Diesen Satz meinte er ehrlich.
„Der Nächste, bitte!“
Das Wartezimmer war immer noch brechend voll. Ein Ende nicht abzusehen. Und schon wieder rauschte der Sanitätswagen mit Blaulicht und Martinshorn an…
Roter Champagner
Ronald Hasbach saß im „Alt Reinig“ am Tresen und starrte in sein abgestandenes Bier. Trüb und schal. Genau wie das Wetter. Und wie seine Stimmung. Irrsinn, das alles. Blanker Irrsinn. Angefangen bei der Geschäftsreise, die ihn hierher in dieses Hotel in Wasserliesch an der Mosel gespült hatte.
Eine ganze Weile bereits dachte er nach. Irgendwie war vorhin alles aus dem Ruder gelaufen, er hatte vollkommen die Kontrolle verloren und je länger er grübelte, desto unwirklicher erschien ihm die ganz Sache. Er hatte die Nerven verloren. Mehr nicht.
Ronald Hasbach hob langsam den Blick, sah sich in dem Lokal um. Bunte Schmetterlinge aus Papier klebten an den Fenstern, dabei war von Frühling noch keine Spur. Kalt und ungemütlich war es draußen, Temperaturen im Minusbereich. Kein buntes Schmetterlingswetter.
Ein paar Männer saßen an der Theke, hielten sich an ihren Bierflaschen fest und unterhielten sich in einem ihm fremden Dialekt. Verteilt an zwei Tischen saßen drei Paare, die sich etwas zu essen bestellt hatten. Und im Raum nebenan rauschte unüberhörbar die Live-Übertragung eines Fußballspiels. Der normale Lokal-Betrieb am Sonntagabend offensichtlich. Und er mittendrin war ein Fremder. Ronald Hasbach schluckte. Wenn jemand hier auch nur ahnen würde, was sich ein paar Zimmer über ihnen abgespielt hatte … na, besser, sie ahnten es nicht. Er musste sich überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte.
Kaum jemand nahm Notiz von ihm. Nur die Gastwirtin lächelte ihm hin und wieder freundlich zu und stellte gerade ein frisches Bier vor ihm ab, als sie leise flüsternd fragte: „Kommt Ihre Frau nicht mehr?“ Er schrak kaum merklich zusammen, überlegte kurz und hörte sich dann selbst sagen: „Nein, sie… sie fühlt sich nicht wohl.“ Wahrscheinlich ein grober Fehler, den er gerade begangen hatte, denn Susann war nicht seine Frau!
Verdammt, hier
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