Der Nächste, bitte! 13 Morde fürs Wartezimmer
kannte man bereits sein Gesicht. Und wegen des Doppelzimmers nahm man ganz selbstverständlich an, sie seien ein Paar. Er musste etwas tun und zwar bald. Am besten so schnell wie möglich hier verschwinden!
Doch zunächst einmal wollte er noch einmal nach ihr sehen. Er musste es tun. Er musste sich Gewissheit verschaffen. Vielleicht war alles auch nur ein grober Irrtum.
Er trank aus, warf einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen, griff sich im Vorbeigehen einen der Fahrpläne der Bahn, die in Stapeln an der Rezeption lagen und ging ohne „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Ein Wiedersehen sollte es nicht geben.
Langsam, wie in Trance, stieg er die Treppen nach oben. Stufe für Stufe. Flur für Flur. Als er auf der zweiten Etage das Zimmer mit der Nummer 12 aufschloss, spürte er sofort die veränderte Stimmung, die der Raum ausstrahlte. Er roch den Tod, der ihm entgegenwehte. Er ahnte, ohne sie zu sehen, dass sie noch genauso da liegen würde, wie er sie vor einiger Zeit verlassen hatte.
Es widerstrebte ihm, das Zimmer zu betreten, dennoch schloss er die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, atmete ein paar Mal tief durch, zwang sich dazu, nicht einfach davon zu rennen, sondern ruhig zu bleiben.
Nur langsam hob er seinen Blick vom Fußboden und richtete ihn geradeaus auf die Badezimmertür. Unnatürliche Stille erfüllte den ganzen Raum.
Er redete sich ein, dass dies nicht die Wirklichkeit sein konnte.
Die Wirklichkeit fand dort unten im Restaurant statt. Oder auch draußen auf der Straße, wo er gerade vorhin durchs Fenster noch zwei fauchend streitende Katzen und einen alten Mann mit seinem Hund beobachtet hatte. Auf jeden Fall lag sie jenseits dieses Hotelzimmers.
Seine persönliche Wirklichkeit fand sich zu Hause bei seiner Frau und bei seinen Kindern. Und genau dort wollte er hin.
Er versuchte, sich dazu zu zwingen, das Bad zu betreten. Dabei pochte ein Satz permanent gegen seine Schläfen: „Der Mörder kehrt immer noch einmal zum Tatort zurück.“
Warum in aller Welt diese Gedanken? Mit seiner rechten Faust hämmerte er sich gegen den Schädel, damit dieses Pochen aufhören sollte. Er war kein Mörder – oder doch?
Er gab sich einen Ruck, überwand die Skrupel und stieß mit dem Fuß die nur angelehnte Badezimmertür auf. Obwohl er wusste, was ihn erwartete, stockte ihm bei ihrem Anblick der Atem. Entsetzt starrte er in ihre immer noch geöffneten Augen. Hatte er sie nicht noch geschlossen? Oder hatte sie ihre Augen etwa wieder…? Ein kalter Schauer packte ihn, er schüttelte sich. Dennoch konnte er seinen Blick nicht von ihr abwenden. Wie sie da lag, in der wenig luxuriösen Hotel-Badewanne, die langen, schlanken Beine leicht angewinkelt, den Kopf zurückgelehnt, umgeben von Blut - aber nein, es war doch Wasser, Wasser das vom roten Champagner verfärbt war. Vom Champagner und von ihrem Blut. Der Badeschaum hatte sich vollständig aufgelöst.
Ihr rechter Arm hing ins Wasser. Der Linke über dem Wannenrand. Das war der Arm, aus dem das meiste Blut gelaufen war. Aus einem Schnitt am Handgelenk. Über den Rand der Wanne und entlang der Kacheln hatte das Blut sich ein Rinnsal gebahnt, das auf den blaugrauen Bodenfliesen in eine scheußlich dunkelrote Pfütze mündete. Auch einer der beiden Badteppiche war halbseitig vom Blut durchtränkt.
Das klassische Bild einer lebensmüden Selbstmörderin, schoss es ihm unwillkürlich durch den Kopf.
Ja, Selbstmord ist es gewesen! , redete er sich ein, während sie ihm nach wie vor aus leblosen Augen entgegenstarrte. Ob sich wohl eine Beule unter ihrem vollen schwarzen Haar gebildet hatte? Und wenn schon – ob jemand sie bemerken würde? Wohl kaum, wenn nicht gezielt danach gesucht wurde. Und bei einer Selbstmörderin? Suchte da überhaupt jemand? Etwas Vorwurfsvolles in ihrem Blick klagte ihn an: „Du Mörder!“
Dabei hatte sie ihn doch so wütend gemacht! Bis vorhin war er kein Mörder gewesen! Wütend, wie sie ihn so oft schon gemacht hatte, und doch wütend, wie nie zuvor. In ohnmächtigem Zorn hatte er nur noch agiert ohne zu denken. Denn sie war einen Schritt zu weit gegangen. Einen beachtlichen Schritt!
Susann war sicher die attraktivste Frau in seiner Firma – unumstritten unter den männlichen Kollegen die Begehrteste, aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Raffinierteste.
Und wieder einmal hatte sie die Sache so gedeichselt, dass sie ihn auf seiner Dienstreise begleitete. Er war für den nächsten Tag zu einer
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