Der Naechste bitte!
umgehend zu Ausgang 27 zu begeben.«
Ich hatte es mir in dem blauen Ledersessel der ersten Klasse gemütlich gemacht – die Beinstütze hochgeklappt und ein bequemes Kissen unter dem Kopf -, nippte an meinem Champagner, blätterte durch das sechs Jahre alte Manuskript, das ich seit vier Jahren nicht mehr in die Hand genommen hatte, und dachte: So gefällt mir mein Leben. Vielleicht meint das Schicksal es endlich gut mit mir, und dies ist der Auftakt zu einem neuen, aufregenden Leben in Saus und Braus. Das sollte ich mir wirklich häufiger gönnen. Im Grunde gehöre ich genau hierher …
Mitten in meine Gedanken sagte jemand: »Bitte räumen Sie augenblicklich den Platz.«
Ich sah auf und starrte in das griesgrämige Gesicht der Kollegin vom Gate, die mich mit einem finsteren Blick anstierte. Anscheinend war sie mit dem linken Fuß aufgestanden, weshalb ich es auf die höfliche Tour versuchte.
»Entschuldigung?«, sagte ich mit einem freundlichen Lächeln.
»Keine Diskussionen. Nehmen Sie Ihre Sachen und gehen Sie«, ertönte ihre Reibeisenstimme, die auf jahrelange Nikotinabhängigkeit schließen ließ, während sich ihre rechteckig zurechtgefeilten und auf Hochglanz polierten falschen French Nails unbarmherzig in ihr knochiges Becken bohrten. »Der Passagier, der diesen Platz gebucht hat, ist soeben eingetroffen und bereits auf dem Weg hierher.«
»Ich hatte gar nicht vor, mit Ihnen zu diskutieren«, antwortete ich kleinlaut in dem Bewusstsein, dass es mir als nicht zahlender Standy-by-Passagier nicht zustand, Ansprüche zu erheben, vor allem nicht in Gegenwart irgendwelcher Gate Agents, mit denen nicht gut Kirschen essen war. »Welcher Platz ist denn dann für mich vorgesehen?« Ich gab mir größte Mühe, entgegenkommend zu klingen, während die anderen Passagiere mich mit Blicken traktierten, als würde ich ein Sicherheitsrisiko darstellen.
»Sie haben Glück, es gab eine Doppelbelegung. Irgendwo ganz hinten müsste noch was frei sein«, zischte sie, als ein großer, dunkelhaariger, leicht zerzauster, aber umwerfend aussehender Mann auf sie zusteuerte. »Ah, Mister Richards, da sind Sie ja. Bitte verzeihen Sie die Unannehmlichkeiten. Sobald Miss Lane ihre Sachen zusammengepackt hat und in die Economy-Klasse umgezogen ist, steht Ihnen der Platz zur Verfügung«, säuselte sie mit einem honigsüßen Lächeln auf den Lippen und deutete mit ihren Vorzeigenägeln auf mich.
»Kein Problem, ich habe es nicht eilig«, sagte er und erwiderte noch immer ein wenig außer Atem ihr Lächeln.
»Nein, sie muss sogar Tempo machen. Wir dürfen nämlich erst die Türen schließen, wenn alle Passagiere sitzen«, erklärte sie mit so lauter Stimme, dass es auch der Letzte in der ersten Klasse mitbekam. »Warum legen Sie Ihr Handgepäck nicht einfach hier drauf?«
Hilflos musste ich mit ansehen, wie eine schwere, klobige Tasche meinen sorgsam drapierten Kleidersack zerdrückte. Wieder einmal verbot mir der Verhaltenskodex meines Arbeitgebers, mich dagegen zu wehren. Mir blieb also nichts anderes übrig, als meine Handtasche zu nehmen, ehe ich in typischer Flugbegleitermanier die erste Klasse verließ – mit erhobenem Kopf, selbstsicherem Schritt, den Blick fest auf einen imaginären Punkt in der Ferne gerichtet, um bloß keinen Blickkontakt mit den Passagieren herzustellen. Sonst lief unsereins nämlich Gefahr, angesprochen zu werden. Natürlich entging mir nicht, dass fast jeder, an dem ich vorbeilief, den Kopf schüttelte oder mit seinem Sitznachbarn tuschelte. Jeder mit Ausnahme von Clay, der in die aktuelle Ausgabe der People vertieft war und von meiner gewaltsamen Vertreibung aus dem Paradies nichts mitbekommen hatte.
Am Ende der Kabine angekommen, ließ ich mich auf dem einzigen noch freien Platz in der Mitte der letzten Reihe nieder, stellte meinen iPod an, verschanzte mich hinter unserem Bordmagazin Sky Mall und sehnte das Ende des Fluges herbei.
Als mein dritter Mojito zur Neige ging, hielt ich den Zeitpunkt für ideal und stellte die Frage, die mir schon eine ganze Weile unter den Nägeln brannte: »Was meinst du? Ob Michael mich je richtig geliebt hat?« Mit einem großen Schluck leerte ich meinen Becher und blickte zu Clay, der sich auf der Liege neben mir räkelte. Wir waren im InterConti vor den Toren der Altstadt San Juans und lagen seit geschlagenen zweieinhalb Stunden am Pool.
Er schob seine Dolce-&-Gabana-Sonnenbrille ein Stück nach oben, stieß erst einen tiefen Seufzer und dann ein träges
Weitere Kostenlose Bücher