Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
betretenes Schweigen, bevor die zunehmend nervöse Jane erneut mit ihren Geschichten über die Wahl Gordons durch die neun höchsten Adepten
begann, über seine Ausbildung durch Jason und Avatar Yortam und all den anderen Fantastereien, die später auch in den Liga-Publikationen verbreitet wurden.
Allen war klar, was gespielt wurde. Gordon Blake war Janes Geliebter. Ob sie sich mit ihm tröstete, weil Jason sie betrogen hatte oder ob es sie, die um
fast dreißig Jahre jünger als Jason war, einfach nach einer Romanze gelüstete, wurde nie klar, war auch bedeutungslos. Gordon Blake war noch nicht lange
Mitglied der Liga. Er lebte in Kansas und war einer von denen, die sich ganz den Ideen der Liga öffneten und ihr Leben kompromisslos in den Dienst des Hju
stellten. In der offiziellen Biografie wurde sein Dasein als geheimnisdurchtränkte Hinführung zur Liga, als Vorbereitung auf seine Aufgabe als Mahaguru
geschildert, gespickt mit Wundern, Visionen von uralten Adepten und Rückschauen auf Inkarnationen, in denen er unter bedeutenden Mahagurus der
Vergangenheit studiert hatte. „Viele Leben lang wurde er von den Mahagurus der jeweiligen Epoche auf seine kommende Aufgabe vorbereitet, die Lehre des Hju
weltumspannend zu etablieren,“ heißt es im Anhang zum
Buch der Erleuchtung
. In Wirklichkeit war Gordon Blake eine gescheiterte Existenz, hatte
sein Studium abgebrochen, sich als Hilfsbuchhalter durchgeschlagen, als Autoverkäufer und Versicherungsvertreter. Sein rascher Aufstieg in der Liga war
darauf zurückzuführen, dass der Mittlere Westen die Region der USA war, die in den Pionierjahren am wenigsten von der Organisation berührt wurde. Zwar gab
es Zentren in einigen Städten, doch die Mitgliedschaft wuchs langsamer als anderswo und in der Führerschaft taten sich nur wenige durch auffallenden
Ehrgeiz hervor. Gordon Blake war einer davon, was ihn schneller als üblich die unteren Kreise der Einweihungen durchlaufen ließ. Er sah, wie viele andere
Atmas auch, in der Liga die Möglichkeit, die eigene Mittelmäßigkeit durch den Aufstieg in der Hierarchie der Einweihungen zu kompensieren und widmete sich
diesem Ziel mit ganzer Hingabe. Aber Gordon hatte es nicht einmal zum Lirep gebracht, als er vor unseren Kreis trat.
Jane tat alles, um ihn uns schmackhaft zu machen. Für die Witwe Jasons war der Mahaguru Gordon die einzige Chance, im Zentrum der Macht zu verbleiben, für
Gordon war Janes Einfluss im inneren Kreis der einzige Weg, jemals Mahaguru zu werden – eine jämmerliche Konstellation. Ich vermag mir nicht auszumalen,
was geschehen wäre, hätten wir Janes Vorschlag abgelehnt und einen anderen zum Mahaguru gemacht, John vielleicht, oder einen bekannten Liga-Pionier, der
das Ansehen der Atmas genoss. Aber es ist müßig, darüber zu spekulieren, denn wir ließen Jane ihren Willen, weil es die bequemste Lösung war. John sträubte
sich als einziger. Vielleicht hatte er sich tatsächlich Hoffnungen gemacht, selbst zum Mahaguru aufzusteigen, vielleicht war er verbittert über den jähen
Zusammenbruch seiner Illusionen über die spirituelle Wahrhaftigkeit der Liga, der sich vor seinen Augen vollzog. Erst der erbärmliche Tod Jasons und nun
diese Posse mit Jane und ihrem Geliebten. John erhob sich und verließ kopfschüttelnd den Raum. Als Jane erregt aufsprang, drehte er sich an der Türe um und
winkte resigniert ab: „Keine Angst Jane, von mir erfährt niemand etwas. Ich war Howards Freund.“
Ted und mir war es im Grunde gleichgültig, wie der neue Mahaguru hieß, solange er seinen Job zufriedenstellend erledigte. Einer, der sich leicht lenken
ließ, war angenehmer als ein glühender selbstüberzeugter Fanatiker aus dem Kreis der Liga-Pioniere. Auch Rob schien diese Meinung zu teilen. In diesem
Augenblick wurde mir deutlich, was uns der Mahaguru wirklich bedeutete – er musste seine Rolle gut spielen, um die Bedürfnisse der Atmas zu erfüllen und
das Liga-Geschäft florieren zu lassen. Jane hatte Gordon offenbar eingehend über die Machtverhältnisse in der Liga unterrichtet, denn er näherte sich uns
mit größtem Respekt, fast mit Unterwürfigkeit. Noch hatte ihn die Schattenmacht nicht erfasst, obwohl ich heute glaube, dass sie Gordon Blake ebenso für
ihre Zwecke ausgewählt hatte wie Jason, dass alles Teil eines minutiös geplanten Spieles war, in dem alle Figuren längst an den ihnen zugedachten Plätzen
standen.
Unser Einverständnis mit der Wahl Blakes zum Mahaguru
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