Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
kein Geräusch zu verursachen. Schließlich lag er wieder unter der Decke,
zitternd vor Kälte und Aufregung, die kleinen Schaumstoffpolster an den Ohren. Er lag einen Augenblick still, um den heftig gehenden Atem zu bändigen, das
Zittern aus dem Körper zu vertreiben, dann ließ er das Band ablaufen.
Die Stimmen von zwei Männern waren zu hören, die eine sprach heiser und mühsam, als bereite das Sprechen Schmerzen, die andere leise und gedämpft, als
fürchte sie, belauscht zu werden. Die Stimmen waren eingebettet in Nebengeräusche, klangen umhüllt von Watte der Dumpfheit. Aron spulte das Band zurück,
bis er die Musik der
Heavenly Lights
hörte, rein und klar, professionell aufgenommen in den Studios des Hauptquartiers, wartete ungeduldig auf den
Bruch, das Rumpeln und Krachen, das Einsetzen der Stimme, hoffte schon, alles sei bloß Sinnestäuschung gewesen, eine Erinnerung an seinen Traum, die in die
Wirklichkeit herübergerutscht war, erschrak, als die Musik tatsächlich schroff abbrach.
„Läuft das verdammte Ding?“, fragte die heisere Stimme.
„Ja,“ kam die Antwort, wie ein gehauchter Laut.
„Bist du sicher, dass dir diese sogenannten Ethik-Hüter nicht gefolgt sind, diese Bande von heuchlerischen Verbrechern.“
„Ich bin ganz alleine da.“
„Halte mich nicht für paranoid, aber diese Kerle sind in der Lage und verkleiden sich als Ärzte und Krankenschwestern.“
„Keine Angst, ich glaube, dass sie gerade heute anderes im Sinn haben, als uns beiden hinterherzuspionieren.“
„Du meinst wohl, sie überlegen sich, wie sie Ken doch noch umbringen können.“
„Was willst du damit sagen?“
„Hast du noch immer nicht begriffen, dass Panetta und seine EH-Gestapo hinter diesem Attentat stecken? Sie haben Wind davon bekommen, dass Ken in aller
Öffentlichkeit die Wahrheit über die Liga auspacken, dass er mit dieser unerträglichen Lüge Schluss machen wollte. Da blieb ihnen nur eine einzige
Möglichkeit, nämlich ihn aus dem Weg zu räumen.“
„Aber…“
Aron schaltete den Rekorder ab. Es war ein schwerwiegender Bruch der Liga-Ethik, ein solches Band anzuhören! Aron, ein Student der Akademie, ein
Eingeweihter des achten Kreises, war sich seiner Verantwortung augenblicklich bewusst. Er hatte den entsprechenden Paragrafen im Anhang zum
Buch der Erleuchtung
oft genug gelesen und in Arbeitsgruppen diskutiert: „Material, das die Liga und ihre Prinzipien und Lehren verleumdet,
verunglimpft oder kritisiert, oder Unwahrheiten über die Liga in Umlauf bringt, ist unverzüglich einzuziehen und einem Ethik-Hüter zu übergeben. Die
Person, die es verbreitet, ist namentlich zu melden.“ Es war Arons Pflicht, das Band abzuliefern, den Hergang seiner Auffindung zu berichten, Bens Namen zu
nennen, den Freund noch im Tod zu denunzieren. Die Anweisungen zum Schutz der Liga im
Buch der Erleuchtung
ließen keine andere Wahl. Vielleicht
war dies eine Prüfung, einer jener Tests der Loyalität, die allen Atmas, die nach höheren Einweihungen strebten, jederzeit widerfahren konnten, eine
geschickt eingefädelte Probe, deren Frist wahrscheinlich morgen ablief, eine Probe, ob die Treue zur Liga über die Treue zum besten Freund ging. Machte er
nicht gleich am Vormittag Meldung von dem Vorfall, war sein Weg in der Liga zu Ende. Niemand würde ihn zur Rede stellen, niemand nach dem Band fragen, doch
seine Akte im Hauptquartier wäre befleckt mit einem kaum gutzumachenden Makel, der sich nur auf dem mühevollen Weg reumütiger Selbstbezichtigung, dem
Absolvieren umständlicher Deproschulungen und langer Bewährung in untergeordneten Diensten abwaschen ließ. Doch er hatte die Kassette zufällig gefunden.
Niemand hatte ihn darauf hingewiesen, niemand hatte sie ihm zugespielt. Bens Nachricht auf dem Anrufbeantworter war nur ein Spiel mit Worten gewesen, Arons
Gang zum alten Platz im Park bloß eine sentimentale Regung, eine Fügung. Ben hatte die Kassette wahrscheinlich dort versteckt, um sie selbst später
abzuholen. Mulmige Angst wuchs in Aron, Nervosität und zugleich Neugierde. Bilder seines Traums mischten sich unter seine Gedanken. Die Brücke aus der
Finsternis. Er würde den Abgrund sicher überqueren, wenn er den Gesetzen der Liga die Treue hielt, aber er würde hinabstürzen in das brennende Schwarz,
wenn sich Zweifel in sein Herz schlichen. Vielleicht waren es die Zweifel an Lirep Crapp, die sein Unterbewusstsein vergifteten. Vielleicht war der Traum
eine Warnung des Hju,
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