Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Mitgliedern zurückgegangen war,
strömten jetzt wieder die Massen der Neuinteressenten. Viele von ihnen wussten nichts von einer Krise in der Liga oder einem Streit um die Meisterschaft.
Sie erlebten Gordon Blake als mitreißenden Mahaguru, der sie weniger durch sein esoterisches Wissen für sich einnahm als durch seine Ausstrahlung. Gordon
verstand es, die Herzen der Menschen zu berühren, sein Publikum in einen Zustand erregter Emotionalität zu versetzen. Hatten die Atmas vor Mahaguru Jason
mit seinem angelesenen Wissen und seiner hypnotischen Wirkung Respekt und Ehrfurcht empfunden, so fühlten sie für Gordon tiefe überschwängliche Liebe. In
kurzer Zeit war aus dem schüchternen, nahezu unbekannten Atma ein charismatischer Führer geworden.
Kurz nach dem darauf folgenden Hauptseminar, das erneut eine Rekordzahl von Besuchern brachte, heirateten Gordon und Jane. Die Atmas waren entzückt.
Niemand kam auf den Gedanken, dass Gordons Aufstieg zum Mahaguru etwas mit seiner Beziehung zu Jasons Witwe zu tun haben könnte. Im Gegenteil, Jane wurde
in die Sphäre einer Heiligen entrückt, als einzige würdig und spirituell fortgeschritten genug, um mit dem jeweiligen Mahaguru der Zeit vermählt zu sein.
Auf der Seminartour durch Europa und einige Städte Afrikas, Asiens und Australiens stand Jane fast ebenso stark im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie der
Mahaguru selbst. War sie früher in der Öffentlichkeit nie aus dem Schatten Jasons hervorgetreten, wollte nun jeder die Frau sehen, die die Namen von zwei
Mahagurus trug. Wie sie uns später sagte, war diese Reise mit Gordon die glücklichste Zeit ihres Lebens. Doch schon ein Jahr später stand es nicht mehr zum
besten mit der Ehe, die den Atmas als Vorbild einer spirituell fundierten Beziehung galt. Gordon suchte die Abwechslung und fand sie in jungen Atmas
weiblichen Geschlechts, die nichts sehnlicher wünschten, als einmal dem Mahaguru wirklich zu begegnen, von ihm bemerkt, gesehen, berührt, auserwählt zu
werden. Die emotionale Kraft, die von Gordon ausströmte, nahm mit jedem Auftritt zu. Er schien die Liebe, die ihm entgegenschlug, aufzusaugen und in eine
Kraft umzuwandeln, die immer noch mehr Menschen in seinen Bann schlug. Zwar wusste jeder Atma, dass es nicht galt, die äußere Form des Mahaguru zu lieben,
sondern die innere Kraft des Hju, die sich durch ihn ausdrückte, doch waren solche Prinzipien, die Jason im
Buch der Erleuchtung
niedergeschrieben
hatte, vergessen, wenn Gordon eine Seminarbühne betrat oder in einem Kreis von Liga-Führern und Lireps erschien.
Ich hatte mich indes ganz aus den Geschäften der Liga zurückgezogen. Rob kümmerte sich um die Organisation, setzte die Präsidenten ein und kontrollierte
sie. Nur der Form halber erschien ich einmal im Jahr zum Hauptseminar, bei dem sich auch der innere Kreis zu einem gemeinsamen Essen versammelte, um das
vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und wichtige Entscheidungen für die Zukunft zu fällen. Ted hingegen fungierte als Ghostwriter für Gordon, der im
Gegensatz zu Jason keinerlei Autorenambitionen hegte und sich nur schwer mit seiner Pflicht zurechtfand, regelmäßig Wahrheitsbriefe, Bücher und Artikel
verfassen zu müssen. Seine Stärke war das persönliche Auftreten. Er sprach stets ohne Konzept aus dem Stegreif und wichtiger als die Worte, die er sagte,
war die Emotionalität, mit der er sie zu erfüllen vermochte. Auch wenn er sich in einem Vortrag selbst widersprach, wenn er manche kompliziert angelegte
Sätze nicht zu Ende brachte oder sprunghaft Themen wechselte, war das Publikum entzückt. Viele Atmas waren der Meinung, es sei unwesentlich, was der
Mahaguru sage, viel wichtiger sei es, in seiner Nähe zu sein, seine Ausstrahlung zu spüren und dem Hju in seiner Stimme zu lauschen.
„Er könnte aus dem Telefonbuch vorlesen,“ meinte Ted, „die Leute wären begeistert.“
Kurz nach dem vierten Hauptseminar unter Gordons Meisterschaft rief mich Ted an.
„Das Karussell dreht sich wieder,“ lachte er.
Ich wusste nicht, wovon er sprach.
„Jane will sich scheiden lassen,“ erklärte er. „Sie hat genug von Gordons Verführungskünsten. Seine Wirkung auf Frauen ist in der Tat enorm. Er übertrifft
selbst dich. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Jane in ihrem Schmerz ihren alten Verehrer Rob Garcia erhört hat.“ Ted lachte. „Man könnte eine
Seifenoper für das Fernsehen daraus machen – ‚Der Liga-Clan‘ oder so
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