Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
die verschiedenen Ränge in der
Organisation einführen –, widerruft am nächsten Tag, entwirft widersinnige Großpläne und Missionierungsstrategien, entlässt eigenmächtig Leute im
Hauptquartier, die vorsichtige Einwände wagen, zugleich zeigt er seine Neigung zu jungen Damen immer offener.“
„Und Panetta? Wie verhält sich Panetta?“
„Er trägt sein falsches Grinsen zur Schau und wartet ab. Er legt sich nicht fest, windet sich, lässt sich geschickt von den Wellen treiben, achtet nur
darauf, dass er nicht sinkt. Er weiß genau, noch hat Gordon die Macht. Eine Laune Gordons, und alles, was Panetta sich mühsam erarbeitet hat, ist dahin. Im
Grunde regiert er mit seinen Ethik-Hütern die Liga, allein Gordon könnte ihn stürzen. Also stellt er sich gut mit Gordon. Er versucht, ihn von sich
abhängig zu machen, spielt vordergründig sein Spiel mit, greift unnachsichtig gegen alle durch, die es wagen, den Mahaguru zu kritisieren. Andererseits
weiß er sehr wohl, dass es auf diese Art nicht mehr lange gut gehen wird. Er ist wie ein Krake, der seine Fangarme ausfährt. Er taktiert mit Kalkül. Er
wartet auf die passende Gelegenheit, Gordons Nachfolger zu werden. Er ist nahe dran, es zu schaffen. Dann aber gnade uns Gott.
„Wir haben uns keine Suppe eingebrockt,“ sagte ich, „sondern eine Schlangengrube. Selbst im mickrigsten Liga-Haus irgendwo in der Provinz wird unter dem
hehren Deckmantel höchster Spiritualität um nichts anderes als um Positionen gekämpft.“
Ted grinste breit. „Womit bewiesen wäre, dass selbst die edelsten Ziele korrumpieren, wenn sie in die Form einer Organisation gegossen werden.“
„Wenn ich dich recht verstehe, besteht unsere Verantwortung als Verursacher dieses Experiments ‚Liga‘ darin, den Schaden zu begrenzen und zu verhindern,
dass sich die Pestilenz aus unseren Reagenzgläsern über die ganze Welt verbreitet.“
„Genau. Wobei der Versuch bereits zu weit fortgeschritten ist. Es ist unmöglich, die ätzende Brühe einfach ins Klo zu kippen.“
„Was schlägt der Herr Doktor Frankenstein vor?“
„Wenn Gordon Mahaguru bleibt, wird die Liga im Chaos versinken und es wird ein leichtes sein für Panetta, sich mithilfe seiner Ethik-Hüter in eine Position
zu manövrieren, in der keine Wahl mehr bleibt, als ihn zum Nachfolger von Gordon zu machen. Gordon im entscheidenden Moment zu beseitigen wäre das
geringste Problem für ihn. Im Augenblick hält er noch still, nicht zuletzt deshalb, weil er nicht weiß, wie er uns beide einschätzen soll, aber hinter den
Kulissen zieht er seit Langem die Fäden. Die Zeit spielt für ihn. Wir müssen rasch handeln.“
„Was sollen wir tun?“
„Wir ziehen einen Joker aus der Tasche, den wir statt Panetta zum Mahaguru machen.“
„Ich komme mir vor wie im Vatikan, wenn der Papst im Sterben liegt.“
„Oder an einem italienischen Fürstenhof der Renaissance, in dem sich alle mit Gift bewaffnen, um bei der Erbfolge nicht zu kurz zu kommen. Wir haben zwei
Möglichkeiten – entweder wir übergehen Panetta und setzen ihm einen neuen Mahaguru unserer Wahl vor die Nase, was mit etwas Geschick möglich wäre, aber
höchst unklug. Panetta würde alles tun, um das zu verhindern. Das käme einer Spaltung der Liga gleich. Oder wir ziehen Panetta, der uns als nicht zu
umgehende Machtfaktoren anerkennt, ins Vertrauen und handeln mit seiner Unterstützung. Alte chinesische Kriegstaktik: Mache deine Feinde zu Verbündeten.“
„Wenn ich dich recht verstanden habe, will er selber Mahaguru werden. Warum sollte er deinen Joker akzeptieren? Panetta besitzt gefährlichen Ehrgeiz. Seine
Ambitionen erinnern mich an den frühen Jason.“
„Nur ist er weniger naiv. Jason war ein Profilneurotiker mit Charisma und ein paar psychischen Fähigkeiten. Panetta ist anders. Er ist eiskalt und
undurchschaubar. Einer, der über Leichen geht. Trotz seiner verbindlichen Freundlichkeit, seiner Überzeugungskraft, seiner Kompetenz in geschäftlichen
Fragen gibt es nicht wenige Mitarbeiter im Hauptquartier, die sich vor ihm fürchten und eine Reihe von einflussreichen Liga-Pionieren, die missbilligen, in
welche Richtung er die Organisation führt. Manchmal glaube ich eine Schlange vor mir zu haben.“
„Eine grinsende Schlange. Wie Ka aus dem Dschungelbuch.“
Wir lachten beide.
„Wir müssen die Schlange Ka ins Vertrauen ziehen,“ fuhr Ted fort. „Wir müssen sie zu unserem Partner machen, bevor sie den kleinen Moghli
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