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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Binder
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Andersen hingegen wollte sich nicht öffentlich äußern, um den Schaden für
    die Organisation in Grenzen zu halten. Schließlich aber, als immer mehr Lireps im Hauptquartier anriefen und um Aufklärung der verwirrten Situation baten,
    rang er sich auf Panettas Anraten durch, einen Wahrheitsbrief an alle Atmas zu schreiben, in dem er mitteilte, dass der hohe Rat der uralten Adepten unter
    Avatar Yortam beschlossen habe, Gordon Blake aufgrund seiner Verfehlungen gegen die Ethik des Hju den Rang eines Meisters zu entziehen. Gordon Blake sei
    nicht länger Teil der Liga, seine Einweihungen seien verfallen. Er ging nicht auf Einzelheiten ein, enthielt sich jeder Anklage, sondern verfasste die
    Mitteilung in einem Stil, in dem ein Konzern seinen Aktionären mitteilt, dass ein leitender Manager seines Amtes enthoben wurde. Zugleich hetzte Panetta
    die Anwälte der Liga auf Gordon. Sie erfanden die absurdesten Anklagen. Es war offensichtlich, dass es nur darum ging, Gordon mundtot zu machen.
    „Eine interessante Probe aufs Exempel,“ sagte Ted, „ein Lackmustest für den Geisteszustand der Atmas.“
    Ich schaute ihn fragend an. Wir saßen beim Lunch in einem Restaurant in der Nähe des Hauptquartiers, etwa sechs Wochen nach der Sitzung des inneren Rates,
    in der es zum Bruch mit Gordon gekommen war.
    „Eigentlich müsste es jetzt selbst dem fanatischsten Atma klar sein, dass die Liga, die uralten Adepten, die Mahagurus, das
Buch der Erleuchtung
und all die anderen Heiligtümer nichts weiter sind als Erfindungen. Kein von Jason geschriebenes Wort über die Unfehlbarkeit des Mahaguru, über seine
    unantastbare Spiritualität, seinen Zustand höchster Erleuchtung hält angesichts dieser Situation stand. Für jeden, der nur einen winzigen Rest gesunden
    Menschenverstandes bewahrt hat, gibt es nur eine Schlussfolgerung: alles Betrug. Bestimmt werden sich viele Atmas stillschweigend verabschieden,
    wahrscheinlich die letzten, die in der Liga noch einen echten spirituellen Weg gesucht haben. Aber ich gehe jede Wette ein – der Großteil wird bleiben,
    entweder bei Gordon oder bei Ken. Die meisten Atmas sind bereits so gehirngewaschen, dass sie alles schlucken, was man ihnen serviert. Und sie haben Angst.
    Sie fürchten sich vor der Strafe des Hju, diesem Schreckgespenst, das man ihnen eingepflanzt hat, obwohl sie sich ausdenken könnten, dass auch diese
    Drohung nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht. Falsche Mahagurus können nur falsche Flüche aussprechen. Aber niemand denkt mehr so. Das
    Mus in den Hirnen der Atmas ist zu Beton geronnen. Die Liga wird letztendlich auch durch diesen Skandal gewinnen. Wir haben es nicht mehr mit denkenden
    Menschen zu tun, sondern mit Atmas.“
    „Und Gordon?“
    „Einige seiner Fans werden ihm treu bleiben. Andere haben vielleicht Mitleid mit ihm und schlagen sich deshalb auf seine Seite. Vielleicht gibt es auch
    einige Idealisten, die in diesem absurden Streit nach Gerechtigkeit suchen und Gordon den Vorzug geben, aber die Masse der Atmas wird dort bleiben, wo die
    Macht ist. Und die Macht ist im Besitz des Hauptquartiers. So war es schon damals im Fall Jerry Grant. Panetta hat es richtig erkannt: wer das Geld hat,
    die Kommunikationsmittel, den Verwaltungsapparat, wird siegen. Die Anwälte werden Gordon tothetzen. Wovon soll er leben? Seine Bezüge sind gesperrt. Die
    Strafe des Hju, mit der Panetta so großspurig prahlt, ist nichts anderes als materieller Druck.“
    Ich wiegte den Kopf. „Ich glaube, dass in dieser Auseinandersetzung noch eine andere Kraft eine Rolle spielt, eine, die immer schon im Hintergrund agierte
    und jetzt allmählich offen in Erscheinung tritt.“
    Es war das erste Mal, dass ich mit Ted darüber sprach. Er sah mich erstaunt an und wollte antworten, als Panetta das Restaurant betrat und grinsend auf
    unseren Tisch zusteuerte.
    „Wusste ich doch, dass ich euch hier finden würde,“ rief er. Er war bester Laune. Die Angespanntheit, die in den letzten Wochen sein Gesicht gezeichnet
    hatte, war wie weggeblasen. Ich hatte ihn selten so unbeschwert gesehen. Er setzte sich zu uns.
    „Neuigkeiten von der Front?“, fragte Ted bissig.
    „Allerdings,“ verkündete Panetta. „Das Hju weiß sich selbst am besten zu schützen. Es ist nicht notwendig, dass wir etwas tun. Wir sind manchmal
    übereifrig, wollen dem Hju vorgreifen…“
    „Gordon hat sich bei Andersen entschuldigt. Die beiden trinken gerade Bruderschaft mit Gordons Lieblingsmarke.

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