Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Schlüssel über die weltweiten Liga-Zentren verteilt wurden, waren seit Wochen und Monaten vergriffen. Die Atmas kamen von allen Kontinenten.
Schon im Vorfeld machten die üblichen Geschichten die Runde: jemand hatte die Lottozahlen geträumt und soviel gewonnen, wie für die Reise zum Seminar nötig
war, ein anderer hatte die passende Summe von einem bislang unbekannten Verwandten geerbt, ein Arbeitsloser durch die innere Führung des Mahaguru zur
rechten Zeit einen Job bekommen, ein Künstler zu unerwartet hohem Preis ein Bild verkauft und so weiter und so fort. Die Begeisterung der Atmas schäumte
über. Dieses Seminar war als Meilenstein angekündigt und jeder trug seinen Teil dazu bei, es zu einem Meilenstein zu machen.
Panetta betete eine Rekordzahl nach der anderen herunter, als wir zusammen vom Hotel zum Seminar fuhren: die meisten Vorbestellungen von Videos und
Tonbandkassetten, das größte Medieninteresse. Meine Unruhe nahm zu. Wie würden es all diese Menschen aufnehmen, plötzlich mit der Wahrheit über die Liga
konfrontiert zu werden? Wie würden sie reagieren, wenn man ihnen rüde den Boden ihres Glaubens entzog? Vielen war die Liga der ganze Inhalt ihres Lebens,
nicht allein die spirituelle Seite, sondern vor allem die Organisation, in der sie Posten bekleideten und Macht ausübten. Was sollten wir tun, wenn die
Atmas ihrem Mahaguru dieses Mal keinen Glauben schenkten, wenn sie ihn missverstünden, wenn es Panetta gelang, die Atmas auf seine Seite zu ziehen. Viele
Liga-Führer würden den Weg nicht mitgehen wollen, den Andersen anbieten wollte, einen kargen, strengen, fanatischen Weg. Sie würden alles tun, um ihre
Illusionen behalten zu dürfen, würden sich verweigern, auch gegenüber dem Mahaguru. Die Atmas liebten Andersen, seine sanfte Wesensart, seine
Bescheidenheit, seine einfach gestrickten Vorträge. Obwohl im
Buch der Erleuchtung
nachzulesen war, nicht die menschliche Form des Mahaguru sei
von Bedeutung, sondern sein strahlender Lichtkörper, hingen die Atmas innig an der Person des Meisters. Auf früheren Seminaren hatte es Tumulte gegeben,
wenn der Mahaguru von der Bühne herab Hände schüttelte. Seit es bei einem solchen Gedränge Verletzte gegeben hatte, verzichtete Andersen auf den direkten
Kontakt mit den Seminarbesuchern. Seither war er der Mehrzahl der Atmas entrückt, ein übermenschliches Wesen, dem sich nur Auserwählte nähern durften. Die
hysterische Liebe der Atmas wurde durch die unerreichbare Ferne des Mahaguru noch angefeuert. Er war Objekt ihrer Projektionen und Sehnsüchte, ihrer Träume
von einem Gottmenschen, dem sie sich hingeben konnten, der sie in seiner inneren, allmächtigen Form verstand, liebte, heilte und in jedem Augenblick ihres
Lebens führte. Doch es gehörte zum gleichen Spiel, dass solche Lichtgestalten von ihren Anhängern zerfleischt wurden, wenn sich enttäuschte Hoffnungen in
Hass verwandelten. Das gleiche Volk, das Jesus als Messias bejubelt hatte, wünschte ihn Tage später ans Kreuz. Was würde geschehen, wenn Panetta beherzt
auf die Bühne sprang, Andersen das Mikrofon entriss und verkündete, der Rat der neun höchsten Adepten habe Andersen abgesetzt? Die Menschen hassten
Veränderung. Sie würden Panetta zujubeln, wenn er ihnen erklärte, alles sei nur ein böser Traum gewesen, die Utopie eines irregeleiteten Mahaguru, alles
bliebe beim alten, nur die Person des Mahaguru werde ausgetauscht. Solche Gedanken und Fantasien sprangen wirr durch meinen Kopf, als Panetta mir die
Erfolgsmeldungen über das bevorstehende Seminar berichtete. Ich wäre am liebsten zurück ins Hotel gefahren, hätte mich auf mein Zimmer verkrochen und
abgewartet, bis dieses Seminar vorüber war und mit ihm die Liga.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren perfekt. Unser Wagen fuhr über eine spezielle VIP-Zufahrt direkt ins Innere des gewaltigen Komplexes.
„Kommt Ken auch auf diesem Weg herein?“, fragte ich, um Panetta Gelegenheit zu geben, mit seinen Plänen zu brillieren.
„Oh nein,“ lachte er, „Dieser Weg ist nur für die gewöhnlichen VIPs. Der Mahaguru wird mit dem Heli einfliegen. Er wird behandelt wie der Präsident der
Vereinigten Staaten. Er kommt eine Minute vor seinem Auftritt an und ist eine Minute nach seiner Rede wieder in der Luft.“
Für Freitagnachmittag und Samstagnachmittag waren Audienzen für Gruppen von Lireps und Liga-Pionieren geplant. Der Ort war streng geheim, die Auserwählten
würden unter Verpflichtung
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