Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Aufgabe darin, Panetta keinen Augenblick aus den Augen zu lassen. „Wenn Patrick während Kens Vortrag kalte Füße bekommt,
wärmen wir sie ihm,“ hatte Ted zu mir gesagt, „wenn er ernsthafte Dummheiten macht, hetzen wir einen dieser Gorillas auf ihn. Er darf auf keinen Fall die
Bühne betreten, während Ken spricht und auch nicht anschließend. Darum sind wir zu zweit bei ihm. Außerdem gehorchen die Gorillas in letzter Konsequenz
mir. Ich gelte als der persönliche Sicherheitsbeauftragte des Mahaguru, auch wenn Panetta sich wie der General dieser Truppe gebärdet. Wenn es uns gelingt,
Panetta zu neutralisieren, ist die Sache so gut wie gewonnen.“
Nachdem mir Panetta den Bühnenbereich gezeigt hatte, in dem gerade die Vorbereitungen für das Nachmittagsprogramm abgeschlossen wurden, eilte er zu einem
Arbeitstreffen mit Lireps. Ich schlüpfte durch eine streng bewachte Seitentür, die nur mein spezieller Sonderpass öffnete, hinaus in die Lobbys und Hallen
des Seminargebäudes, in denen sich die Massen der Liga-Mitglieder und Neuinteressenten zusammenfanden. Gerade waren die Türen zur Seminarhalle geöffnet
worden. Die Atmas suchten sich Plätze in der Arena. Ich nahm meine Namenskarte vom Jackett und ließ mich durch die Menge treiben. Mein Name mochte einigen
Atmas bekannt sein, nicht aber mein Gesicht. In all den Jahren hatte ich streng darauf geachtet, dass kein Foto von mir in irgendeiner Liga-Publikation
erschien und ich war nie bei einem Seminar an die Öffentlichkeit getreten. Nur die Mitglieder des inneren Kreises, einige Liga-Pioniere der ersten Stunde,
einige Mitarbeiter des Hauptquartiers und einige prominente Atmas, die selbst Wert auf Diskretion legten, kannten mich persönlich. Es war kaum anzunehmen,
dass ich einem von ihnen in den Hallen und Gängen begegnete, in denen die Atmas ihre Namensschilder abholten oder sich mit den neuesten Büchern und
Produkten der Liga versorgten.
Die Liga-Seminare waren stets ein prächtiges Geschäft gewesen, ein mehrfach im Jahr einsetzender Geldregen. Der Aufwand vonseiten des Hauptquartiers war
gering. Viele Arbeiten wurden von unbezahlten Freiwilligen erledigt, die ihr Mitwirken als Privileg erachteten, die Sprecher und Musiker, die das Programm
bestritten, erhielten ebenfalls weder Gage noch Spesen, und hätten dies vermutlich auch entrüstet zurückgewiesen, so hoch galt die Ehre, im Namen der Liga
vor ein Seminarpublikum zu treten. Vertreter von Kommunalverwaltungen aus dem ganzen Land wurden im Hauptquartier vorstellig, um eines der großen Seminare
in ihre Stadt zu holen und boten ihre Kongresshallen meist zu symbolischen Mietpreisen an, denn im Gegensatz zu anderen Großveranstaltungen verlief ein
Liga-Seminar stets völlig friedlich und sauber und brachte Zehntausende gut situierte Menschen ein Wochenende lang in die Hotels, Restaurants und Läden der
Stadt. Die Produkte der Liga – Bücher, Kassetten, CDs, Videos und vieles mehr, verkauften sich auf solchen Seminaren wie von selbst und Tausende von Atmas,
von der Atmosphäre des Seminars motiviert, buchten neu entwickelte Sonder- und Spezialschulungen. Ted hatte recht, es gab kein besseres und risikoloseres
Geschäft als eine Religion.
Die Atmas waren in Seminarstimmung. Lachende Gesichter überall. Man traf Freunde und Bekannte wieder, umarmte, küsste, lief einander jubelnd entgegen.
Dieses Versinken in einem Meer von Gleichgesinnten ließ alle Sorgen des Alltags wegfallen, schuf ein Hochgefühl, das sich mit jeder Stunde des Seminars
steigerte und in einer emotionalen Entrücktheit endete, die natürlich der Energie des Hju zugeschrieben wurde.
Ich hatte mich manchmal gefragt, was das für Leute waren, die Mitglieder der Liga wurden und ihr Leben dem Mahaguru und dem Hju widmeten. In den
Werbeschriften wurde stolz behauptet, dass Menschen aller Rassen, Altersstufen und sozialer Schichten, aller kultureller und religiöser Hintergründe sich
in der Liga zu einer internationalen Familie zusammenfanden. In der Tat saß bei einem Seminar die Hausfrau neben dem Manager, die Börsenmaklerin neben dem
Müllfahrer. Zwar grenzten sich in den lokalen Liga-Zentren die sozialen Gruppen gegeneinander ab, doch auf einem Seminar vermischten sich alle wieder,
inspiriert von dieser oberflächlich emotionalen Hochstimmung, die jeden aus der Gewöhnlichkeit des Alltags heraushob. Freundschaften wurden geschlossen,
nicht selten Partnerschaften fürs Leben, Geschäftskontakte wurden
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