Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
haben.“
„Nichts läge mir ferner. Macht was ihr wollt. Ich möchte euch nur Hilfestellung leisten. Wir haben bei unserer Planung darauf geachtet, dass ihr das Beste
und Interessanteste innerhalb einer Woche abhaken könnt. Und, was Mark interessieren wird, überall könnt ihr ungehindert fotografieren. Die Leute von der
Kunstschule sind Fotografen gewöhnt. Gründlicher könnt ihr die Kultur dieser Insel nicht kennenlernen.“
„Ein letztes Mal, Dan.“ Judith blies den Atem hörbar aus. Sie beugte sich weit nach vorne und sagte mit leiser, beschwörender Stimme: „Wir danken dir
herzlich für deine Bemühungen. Wir werden auch bei deiner Kunstschule vorbeifahren, um Fotos zu machen, aber ich brauche etwas, worüber ich schreiben kann,
einen echten Eindruck, einen Aufhänger, eine Erfahrung des alten Bali, wie es im Landesinneren bestimmt noch existiert.“
Auch Dan wurde wütend. „Ich würde euch nicht raten, in die Dörfer im Landesinneren zu fahren. Die Leute dort sind nicht besonders freundlich zu Fremden in
diesen Tagen. Es gab immer wieder Probleme mit aufdringlichen Touristen.“
Judith wollte heftig erwidern, doch beherrschte sich, winkte resigniert ab. „Also gut. Das bedeutet, dass wir uns selbst darum kümmern müssen. Es wäre
nicht das erste Mal.“
„Bitte sehr. Ich habe euch gewarnt. Beschwert euch nicht bei mir, wenn ihr Schwierigkeiten bekommt. Aber zu guter Letzt wird man doch wieder dem Leiter der
Mission alles anhängen. Meinen Segen habt ihr jedenfalls nicht! Genauso wird es in meinem Bericht an das Hauptquartier stehen.“ Er wuchtete seinen massigen
Körper aus dem Stuhl und stapfte davon.
Judith lehnte sich zurück und kaute an ihrem Stift.
Die Auseinandersetzung von Judith Deleo mit Dan Putnam hatte in der Mission für Unruhe und schlechte Stimmung gesorgt. Die Studenten der Akademie
missbilligten Judiths Verhalten und begleiteten das Team der
Wahrheit
nur auf unbedeutenden Fahrten zu Sehenswürdigkeiten. Dan kümmerte sich kaum
noch um die Gäste, gab Judith lediglich ein Interview über die Arbeit der Liga in Indonesien, nannte Zahlen, betete Statistiken herunter, die Judith
ungerührt auf ihr Tonband aufnahm, stellte sich Mark zu einem Fototermin im Abendlicht am Strand unter Palmen, wo Dan nicht wie der Leiter einer
Landesmission aussah, sondern wie ein Tourist beim Badeurlaub. Er hatte sich den Fototermin in seinem Arbeitszimmer gewünscht, vor der Bücherwand und dem
Bild des Mahaguru, aber Judith hatte darauf bestanden, ihn am Strand abzulichten. Als man Putnam kurz darauf meldete, dass Judith sich mit I Gede, dem
Fahrer ihres Wagens, angefreundet und ihn überredet hatte, sie zu einem Tempelfest in einem Dorf im Landesinneren zu bringen, brach sein mühsam
unterdrückter Zorn erneut auf.
„Sie hat ihn bestochen! Diese Balinesen sind doch alle für ein paar Dollar zu kaufen. Wer begleitet sie?“
„Aron ist an der Reihe. Die anderen Studenten haben ihre Pflicht erfüllt und sind nicht gerade begeistert von dieser Frau, die sie wie Spione behandelt und
ständig an ihnen herumnörgelt,“ berichtete einer der festen Mitarbeiter.
„Ich hoffe, dass Aron so viel Taktgefühl besitzt, sich von dieser von mir missbilligten Reise zu distanzieren.“
„Aron scheint sich auf die Fahrt zu freuen.“
„Na gut, dann soll er gehen. Er ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie dieser Ben. Ich frage mich, wie wir hier gute Arbeit leisten sollen, wenn man sich
dauernd mit solchen Quertreibern herumschlagen muss. Wir werden einen Bericht an die Chefredaktion der
Wahrheit
faxen über das arrogante und
destruktive Auftreten dieser Judith und einen an Crapp über seinen zweiten Romantiker, den er uns innerhalb kürzester Zeit nach Bali geschickt hat – er
will mich wohl ärgern – und das ganze natürlich als Kopie ans Hauptquartier und unseren Lirep. Ich lasse mir nicht das Image der Mission kaputt machen.“
Entgegen dem ursprünglichen Plan verließ der Minibus das Gelände der Mission erst um die Mittagszeit. I Gede hatte den Wagen zwar schon früh Morgens beim
Empfangsgebäude bereitgestellt, doch die Abfahrt verzögerte sich Stunde um Stunde. Erst hatte Mark ein technisches Problem mit seinem Blitzgerät, dann war
die Journalistin noch einmal in Putnams Büro gebeten worden. I Gede wartete mit gleichgültiger Geduld, im Schatten eines Busches neben dem Wagen
hingekauert. Endlich kam Mark, um seine Ausrüstung auf dem Rücksitz zu verstauen. I Gede
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