Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
geschaffen hatte. Ihm, dem Mahaguru dieses Zeitalters, sei von den uralten Adepten Weisung erteilt
worden, dieses allmächtige Schöpfungswort der Menschheit zu offenbaren. Es werde den Planeten retten und die Menschen auf eine neue Stufe spiritueller
Evolution erheben. Avatar Yortam sei ihm vergangene Nacht in seinem Lichtkörper erschienen und habe ihm diesen Ratschluss der Uralten überbracht. Nur eine
Handvoll Menschen sei bisher in dieses Mantra eingeweiht, einige von den Uralten persönlich erwählte Berufene, die zu den spirituell am höchsten stehenden
Wesen der Welt zählten, und die in der kosmischen Hierarchie weit über allen bekannten Heiligen und Religionsgründern standen. Mir wurde heiß. Mein
geschmeicheltes Ego, dem der Gedanke gefiel, zur geistigen Elite des Universums zu gehören, versuchte den Rest der Vernunft einzunebeln, der sich in dieser
Orgie der Verblendung noch hatte behaupten können, und der zynisch bemerkte, so schnell also werde man von einem Buchdrucker zu einem Erleuchteten. Jeder,
so fuhr Jason fort, der dieses heilige Wort unter Führung des Mahaguru auf richtige Weise verwende, sei im Besitz höchster Macht und auf ewig verbunden mit
den Uralten. Alle im Saal fieberten, dass Jason dieses ungeheuere Mantra endlich aussprach. Er hätte jedes Wort nennen können, sie hätten es ihm dankbar
abgenommen.
Ted sagte mir später, dass dieses Hju eigentlich gar nichts besonderes sei, dass es bei den Muslimen gebräuchlich und außerdem Teil einer Reihe indischer
Sanskrit-Mantren war. „Wahrscheinlich hat er auch dieses Mantra in irgendeinem Buch aus Janes Bibliothek aufgegabelt,“ spöttelte er.
Jason dehnte die Spannung noch weiter. Er verpflichtete das Publikum zur Verschwiegenheit. Zum ersten Mal fiel das verhängnisvolle Wort vom Gesetz des
Schweigens, mit dem später in der Liga so viel Missbrauch getrieben wurde, mit dem man Menschen unter Druck setzte, Partner gegeneinander ausspielte und
naive Gläubige in Gewissenskonflikte stürzte. Es war natürlich ein sinnloses Unterfangen bei einem öffentlichen Vortrag, in dem Neugierige neben
fanatischen Liga-Anhängern saßen. Schon wenig später erschien das Hju selbst in den Werbeanzeigen der Liga. Ursprünglich hatte Jason vorgehabt, nur die
Elite der Liga in dieses Wort einzuweihen, aber seine Vision von einer weltumspannenden Liga-Kultur hatte ihn getrieben, „das Wort, das alle Dinge möglich
macht“, in die Herzen so vieler Menschen wie nur möglich zu pflanzen. Endlich sprach er die Silbe aus. Er hielt in seiner Rede inne, nahm einen tiefen
Atemzug, schloss die Augen und verharrte mit gesenktem Haupt in Schweigen.
Im Saal herrschte Totenstille. Das leise Surren der Klimaanlage schien wie Lärm. Von ferne hörte man die Geräusche der Hotellobby und der umliegenden
Restaurants. Die Spannung im Raum knisterte wie Elektrizität.
Schließlich, mit gedämpfter Stimme, sagte Jason: „Das heilige Wort der Uralten, das heute seit Jahrtausenden zum ersten Mal wieder öffentlich ausgesprochen
wird, lautet Hju.“
Sofort begann er die Silbe zu singen, wie er es bei unserer Einweihung getan hatte. Durch das Mikrofon verstärkt grollte es mit tiefem, brüchigen Klang
durch den Raum. Als Jason fertig war, forderte er die Menschen auf, es ihm nachzutun. Willfährig folgte ihm das Publikum. Alle sangen das Hju. Die an- und
abschwellenden Stimmen verschmolzen zu einem endlosen Ton, der klang wie das Heulen des Sturmes, der in meinem Traum über die Schlucht des Feuers hingerast
war.
Kapitel 8
Tanz im Feuer
Judith Deleo war die Tochter des Mediendirektors der Liga. Nur dieser Umstand schien zu erklären, warum sie schon während ihres Studiums in die Redaktion
der
Wahrheit
aufgenommen und bereits nach wenigen Monaten mit selbstständigen Auslandsreportagen betraut wurde, bei denen sie sich mit einer
Arroganz aufführte, als gehöre sie zur Führungselite des Hauptquartiers. So jedenfalls sah es Dan Putnam, als er nach der ersten Besprechung mit den Gästen
der Mission das Versammlungshaus verließ und sich schmollend in seinen Bungalow zurückzog. Im Hauptquartier der Liga war man offenbar anderer Meinung. Dort
galt die junge Journalistin als Talent, das jede Förderung verdiente. Aron hatte Artikel Judiths in der
Wahrheit
gelesen. Sie schrieb einen
gewandten, flotten Stil, der sich wohltuend abhob von den schwerfälligen Gespreiztheiten, die in vielen Liga-Publikationen die Spalten füllten, und doch
stand
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