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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nicht gesehen, daß heute morgen ein Ochse geschlachtet wurde? Sag lieber, wie kommt das in deine Hände?«
    An diesem Punkt war es mit meiner Fassung vorbei. Zermalmt von Gewissensbissen und geschüttelt von sinnloser Angst, brach ich in hemmungsloses, heftiges Schluchzen aus und bat meinen Meister, er möge mir das Sakrament der Beichte gewähren. Er willigte ein, und ich erzählte ihm alles, ohne irgend etwas zu verhehlen.
    Bruder William hörte mir aufmerksam zu, mit großem Ernst, aber nicht ohne einen Anflug von Nachsicht. Als ich fertig war, machte er ein strenges Gesicht und sprach: »Adson, du hast gesündigt, gegen das Keuschheitsgebot wie gegen deine Novizenpflichten, daran besteht kein Zweifel. Zu deiner Entlastung spricht, daß du dich in einer Situation befandest, in der selbst ein Säulenheiliger in der Wüste gesündigt hätte. Und vom Weib als Stachel und Keim der Versuchung spricht ja bereits die Heilige Schrift zur Genüge.
    Der Prediger Salomo sagt vom Weibe, ihr Reden sei wie brennendes Feuer, und in den Sprüchen heißt es, sie bemächtige sich der edlen Seele des Mannes, sie habe schon viele zu Fall gebracht, und selbst die Stärksten seien von ihr vernichtet worden. Auch predigt der Ekklesiast: Ich fand, daß bitterer sei denn der Tod das Weib, das wie die Schlinge des Jägers ist, dessen Herz ein Netz und dessen Hände Stricke sind.
    Andere nannten sie gar ein Vehikel des Satans. Dies klärend vorausgeschickt, kann ich mir freilich nicht vorstellen, lieber Adson, daß Gott ein so ruchloses Wesen in seine Schöpfung eingeführt haben sollte, ohne ihm nicht auch ein paar Tugenden mitzugeben. Und ich kann nicht umhin, über die Tatsache
    nachzudenken, daß er ihm zahlreiche Privilegien und Vorzüge eingeräumt hat, von denen ich nur die drei größten hier nennen will. Erstens schuf er bekanntlich den Mann in dieser niederen Welt und aus einem Erdenkloß, das Weib aber in einem zweiten Schöpfungsakt unmittelbar im Paradies und aus edlem menschlichen Stoff. Und er schuf sie nicht etwa aus den Füßen oder den Eingeweiden Adams, sondern aus seiner Rippe. Zweitens hätte sich der Allmächtige sicherlich auch direkt in einem Manne verkörpern können, doch er zog es vor, im Bauch einer Frau zu wohnen, ein Zeichen dafür, daß sie nicht so ruchlos gewesen sein konnte. Und als er sich zeigte nach seiner Auferstehung, zeigte er sich einer Frau. Drittens schließlich wird in den Gefilden des Himmels kein Mann als König herrschen, sondern vielmehr als Königin eine Frau, die niemals gesündigt hat. Wenn also schon Unser Himmlischer Vater so große Aufmerksamkeit für Eva und ihre Töchter hatte, ist es dann so abnorm, daß auch wir uns angezogen fühlen von ihrer Anmut und edlen Schönheit? Was ich damit sagen will, lieber Adson: Gewiß darfst du das nie wieder tun, aber so ungeheuerlich ist dein Fehltritt nun auch wieder nicht. Und außerdem, daß ein Mönch und Seelsorger wenigstens einmal in seinem Leben die fleischliche Leidenschaft selber erfährt, so daß er später nachsichtig und verständnisvoll mit den armen Sündern umgehen kann, denen er Trost und Rat spenden soll . . ., nun ja, lieber Adson, man soll das nicht geradezu herbeiführen, bevor es geschieht, aber wenn es denn einmal 156
    Der Name der Rose – Dritter Tag
    geschehen ist, soll man es auch nicht allzusehr geißeln. Also geh mit Gott, mein Sohn, und reden wir nicht mehr davon. Fragen wir uns lieber, um nicht allzulang nachzusinnen über etwas, das man besser vergißt, sofern man das kann . . .« – und bei diesen Worten schien mir Williams Stimme ein wenig zu schwanken wie von einer inneren Rührung – »was die Ereignisse dieser Nacht zu bedeuten haben: Wer war das Mädchen und mit wem hatte sie ein Stelldichein?«
    »Das eben weiß ich nicht, ich habe den Mann nicht erkennen können, der bei ihr war.«
    »Nun gut, aber wir können aus einer Reihe sehr zuverlässiger Indizien schließen, wer es war. Zunächst und vor allem muß er alt und häßlich gewesen sein, ein Mann, mit dem sich ein junges Mädchen nicht gern einläßt, zumal wenn es ein schönes Mädchen ist, wie du gesagt hast – obwohl mir scheint, mein junger Springinsfeld, daß du in deinem Durst ein wenig geneigt warst, jede Quelle köstlich zu finden . . .«
    »Warum muß er alt und häßlich gewesen sein?«
    »Weil das Mädchen nicht aus Liebe zu ihm ging, sondern für eine Portion Schlachtabfälle. Es war sicher ein Mädchen aus dem Dorf, das sich – vielleicht

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