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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Dinge bestimmen zu wollen.«
    »Darum also«, sagte ich, »hält der Kaiser so große Stücke auf die Armutsthesen der Minoriten.«
    »Genau. Die Minoriten spielen das Spiel des Kaisers gegen den Papst. Aber für Marsilius und mich ist es ein doppeltes Spiel, denn wir wollen, daß das Spiel des Kaisers unserem eigenen Spiel förderlich ist und unsere Vorstellungen von einer menschenwürdigen Regierungsform verwirklichen hilft.«
    218
    Der Name der Rose – Fünfter Tag
    »Und das werdet Ihr sagen, wenn Ihr sprechen müßt?«
    »Wenn ich es sage, erfülle ich meine Mission, denn ich soll die Ansicht der kaiserlichen Theologen vertreten. Aber sobald ich es sage, ist meine Mission gescheitert, denn ich soll ja auch ein zweites Treffen in Avignon vorbereiten, und ich glaube nicht, daß Johannes bereit ist, mich diese Dinge an seinem Hofe sagen zu lassen.«
    »Was werdet Ihr also tun?«
    »Ich bin hin- und hergerissen zwischen zwei widersprüchlichen Kräften, gleich einem Esel, der nicht weiß, aus welchem von zwei Hafersäcken er fressen soll. Die Zeiten sind noch nicht reif. Marsilius träumt von einer Veränderung, die vorläufig noch unmöglich ist, und Ludwig ist keineswegs besser als seine Vorgänger, mag er auch heute die einzige Schutzwehr gegen den elenden Papst darstellen. Vielleicht werde ich sprechen müssen – es sei denn, die beiden Kampfhähne bringen einander vorher um. In jedem Falle schreib, Adson, schreib alles auf, damit wenigstens der Nachwelt eine Spur von dem erhalten bleibt, was heute geschieht!«
    »Und was wird Michael tun?«
    »Ich fürchte, er vergeudet hier seine Zeit. Der Kardinal weiß, daß der Papst keinerlei Kompromiß zu machen gedenkt, Bernard Gui weiß, daß dieses Treffen um jeden Preis scheitern soll, und Michael weiß, daß er auf jeden Fall nach Avignon gehen wird, weil er nicht will, daß der Orden die letzten Brücken zum Papst abbricht. Und dafür wird er sein Leben aufs Spiel setzen.«
    Während wir so miteinander sprachen (und ich weiß nicht, wie wir uns in dem Lärm überhaupt verständlich machen konnten), erreichte der allgemeine Tumult seinen Höhepunkt. Die Bogenschützen hatten inzwischen auf einen Wink von Bernard Gui eingegriffen, um zu verhindern, daß die beiden Schlachtreihen endgültig aneinander gerieten. Doch wie Belagerer und Belagerte hüben und drüben auf den beiden Seiten einer Burgmauer warfen sie einander wüste Beschimpfungen zu, die ich hier ungeordnet wiedergebe, ohne noch in der Lage zu sein, sie jeweils einem der Streithähne zuzuordnen. Und selbstverständlich wurden all diese Sätze nicht etwa brav nacheinander geäußert, wie es der Fall gewesen wäre bei einem Streitgespräch in meiner Heimat, sondern sie türmten sich übereinander nach mediterraner Art wie die Wogen eines wütenden Meeres.
    »Das Evangelium sagt, daß Christus einen Geldbeutel hatte!«
    »Hör endlich auf von diesem Geldbeutel, den ihr sogar noch auf euren Kruzifixen darstellt! Wie, frage ich dich, erklärst du dir, daß Unser Herr, als er in Jerusalem weilte, jeden Abend nach Bethanien ging?«
    »Wenn Unser Herr es vorzog, in Bethanien zu schlafen, wer bist du, seine Entscheidung zu kritisieren?«
    »Du irrst dich, du alter Ziegenbock, Unser Herr ging nach Bethanien, weil er kein Geld hatte, um sich eine Herberge in Jerusalem zu leisten!«
    »Selber Ziegenbock, Bonagratia! Und was aß Unser Herr in Jerusalem?«
    »Würdest du etwa sagen, daß der Gaul, der Hafer von seinem Herrn erhält, damit er weiterlebt, der Eigentümer des Hafers ist?«
    »Ha, siehst du, jetzt vergleichst du Unsern Herrn Jesus mit einem Gaul!«
    »Nein, aber du vergleichst Unseren Herrn Jesus mit einem korrupten Prälaten an deinem Hof, du Haufen Mist!«
    »Meinst du? Und wie oft hat sich die Kurie mit Prozessen herumplagen müssen, um eure Güter zu schützen?«
    »Die Güter der Kirche, nicht unsere! Wir haben sie nur im Gebrauch!«
    »Jawohl, im Gebrauch, um sie aufzubrauchen und euch prächtige Kirchen zu bauen mit goldenen Statuen und so weiter, ihr Heuchler, ihr Lasterhöhlen, ihr weißgetünchten Friedhofsgespenster! Ihr wißt ganz genau, daß nicht die Armut, sondern die Barmherzigkeit das Grundprinzip des vollkommenen Lebens ist!«
    »Ja, ja, das hat der aufgeblasene Freßsack von eurem verehrten Thomas gesagt!«
    »Hüte deine ruchlose Zunge, du Schandmaul! Der, den du da einen aufgeblasenen Freßsack nennst, ist ein Heiliger der heiligen römischen Kirche!«
    »Ein Drecksheiliger, kanonisiert

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