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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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einen Moment lang schweigend, als überlegte er, ob und bis zu welchem Punkt er einen Teil der Wahrheit zugeben sollte. Dann gab er sich einen Ruck und sagte leise: »Ich habe ihn gesehen und habe mit ihm gesprochen.«
    »Lauter!« brüllte Bernard. »Damit man es hören kann, wenn endlich einmal ein wahres Wort über deine Lippen kommt! Wann hast du mit ihm gesprochen?«
    »Herr Inquisitor«, sagte der Cellerar, »ich lebte als Mönch in einem Kloster im Novaresischen, als Dolcinos Leute sich in der Nähe versammelten, und einmal kamen sie auch an meinem Kloster vorbei, und am Anfang wußte man noch nicht genau, was für Leute sie waren . . .«
    »Du lügst! Wie kommt ein Franziskaner aus Varagine in ein novaresisches Kloster? Du warst gar nicht in einem Kloster, du zogst bereits mit einer Horde von bettelnden Fratizellen in jener Gegend herum, und du hast dich mit den Dolcinianern zusammengetan!«
    »Wie könnt Ihr das sagen, Herr Inquisitor?« protestierte Remigius zitternd.
    »Du wirst gleich sehen, wie ich das sagen kann und warum ich das sagen muß«, erwiderte Bernard eisig und befahl, daß Salvatore hereingeführt werde.
    Der Anblick des Ärmsten, der gewiß die Nacht unter Bedingungen eines verschärften, nicht öffentlichen Kreuzverhörs zugebracht hatte, war erbärmlich und ließ mich vor Mitleid erschauern. Schon im Normalzustand sah er, wie ich bereits gesagt habe, recht entsetzlich aus. Nun aber glich Salvatore mehr denn je einem geschundenen Tier. Nicht daß Spuren von unmittelbarer Gewaltanwendung an ihm zu sehen waren, doch die ganze Art und Weise, wie sein Körper sich mühsam dahinschleppte, in schweren Eisenketten, die Glieder seltsam verrenkt, vorangezerrt von den Bogenschützen wie ein Affe am Strick, verriet sehr deutlich, wie grauenhaft sein Verhör gewesen sein mußte.
    »Bernard hat ihn gefoltert!« flüsterte ich entsetzt zu William.
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    Der Name der Rose – Fünfter Tag
    »Mitnichten«, antwortete mein Meister. »Der Inquisitor foltert nie. Um den Leib des Angeklagten kümmert sich stets nur der weltliche Arm.«
    »Aber das ist doch dasselbe!«
    »Oh nein, Adson. Nicht für den Inquisitor, der die Hände sauber behält, und nicht für den Angeklagten, der im Inquisitor, wenn dieser endlich hereinkommt, einen unverhofften Erlöser findet, einen Linderer seiner Qualen, dem er getrost sein Herz öffnen kann . . .«
    Ich sah meinen Meister ungläubig an. »Ihr scherzt!« sagte ich verwirrt.
    »Scheint dir, daß diese Dinge zum Scherzen sind?« erwiderte William.
    Unterdessen hatte Bernard mit Salvatores Verhör begonnen, doch meine Feder vermag die gebrochenen Worte, die gestammelten Laute nicht wiederzugeben, mit welchen dieser ohnehin stets getretene und nun auf den Rang eines Affen erniedrigte Mensch antwortete. Es war ein nahezu unverständliches, wahrhaft babylonisches Kauderwelsch, doch Bernard stellte die Fragen so, daß der Ärmste fast nur mit Ja oder Nein antworten konnte und zu keiner Lüge mehr fähig war. Und was er sagte, kann sich der Leser gewiß leicht vorstellen. Er erzählte – beziehungweise gab zu, in der Nacht dem Inquisitor davon erzählt zu haben – Teile jener Geschichte seines Lebens, die ich bereits erfahren hatte: von seinem Vagabundendasein unter den Fratizellen, Pastorellen und Pseudo-Aposteln, wie er Remigius bei den Dolcinianern getroffen hatte und wie sie sich retten konnten nach der Schlacht am Monte Rebello und wie sie dann Zuflucht fanden im Konvent von Casale. Doch er bestätigte auch, daß Remigius kurz vor Dolcinos Gefangennahme von diesem einige Briefe erhalten habe, um sie gewissen Leuten zu überbringen, und daß der Cellerar diese Briefe immer bei sich getragen habe, weil er nicht wagte, sie den Adressaten zuzustellen, und daß er sie bei seiner Ankunft in dieser Abtei, wo er sie weder behalten noch vernichten wollte, dem Bibliothekar übergeben habe, jawohl, dem Bruder Malachias, damit dieser sie irgendwo in einem unzugänglichen Winkel des Aedificiums verberge.
    Während Salvatore sprach, betrachtete ihn der Cellerar mit wachsendem Haß. Schließlich konnte er sich nicht länger beherrschen und schrie ihn an: »Du Schlange, du treulose Kreatur, du infame Bestie! Ich war dir Vater und Freund und Beschützer, und so dankst du's mir jetzt!«
    Salvatore drehte den Kopf zu seinem Beschützer, der nun selber so dringend Schutz brauchte, und erwiderte mühsam: »Signor Remigio, wie ich könnt, war ich dein. Warst mir teuer und lieb. Aber weißt doch,

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