Der Name der Rose
von Baskerville, er ist bei uns zu Gast.«
»Ich hoffe, Euch nicht erzürnt zu haben mit meinen Worten«, sagte der Alte kühl. »Ich hörte Personen über lachhafte Dinge lachen und erinnerte sie an einen Grundsatz unserer Regel. Denn wie der Psalmist sagt: Wenn der Mönch sich der guten Reden enthalten muß aufgrund des Schweigegebotes, so hat er erst recht die üblen Reden zu meiden. Und wie es üble Reden gibt, gibt es auch üble Bilder. Und das sind solche, die Lügen verbreiten über die Formen der Schöpfung, indem sie die Welt verkehrtherum darstellen, als das Gegenteil dessen, was sie ist und sein muß und bleiben wird von Säkulum zu Säkulum bis ans Ende der Zeiten . . . Doch Ihr kommt ja aus einem anderen Orden, in welchem, wie mir berichtet wurde, selbst noch die unangebrachteste Heiterkeit mit Nachsicht betrachtet wird.« Die letzten Worte waren eine Anspielung auf die unter den Benediktinern verbreiteten Ansichten über die Grillen des heiligen Franz von Assisi – und vielleicht auch ein wenig auf die Grillen, die man den Fratizellen und Spiritualen aller Art, den jüngsten und beunruhigendsten Sprößlingen des Franziskanerordens, zu unterstellen pflegte. Doch Bruder William tat so, als habe er die Anzüglichkeit überhört.
»Die Bilder an den Rändern der Manuskripte reizen uns häufig zum Lachen, aber sie tun es nur zu erbaulichen Zwecken«, erwiderte er. »Wie man in Predigten vor dem Volk oft Exempla. einführen muß, und nicht selten ergötzliche, um die Phantasie der frommen Zuhörer anzuregen, so muß auch die Rede der Bilder sich dieser Possen bedienen. Für jede Tugend und jede Sünde gibt es ein Beispiel in der Welt der Tiere, und die Tiere spiegeln die Welt der Menschen.«
»Oh, gewiß doch!« höhnte der Alte, ohne die Miene zu verziehen. »Jedes Bildnis ist gut, um die Menschen zur Tugend anzuhalten, damit am Ende die Krone der Schöpfung, auf den Kopf gestellt und mit den Beinen nach oben, zum Anlaß groben Gelächters wird! So offenbart sich das Wort des Herrn im Esel, der auf der Leier spielt, im Tölpel, der mit dem Schilde pflügt, im Ochsen, der sich von allein vor den Pflug spannt, in Flüssen, die den Berg hinauffließen, in Meeren, die sich entzünden, im Wolf, der zum frommen Einsiedler wird! Jagt die Hasen mit Ochsen, laßt euch die Grammatik von den Spatzen beibringen, die Hunde mögen die Flöhe beißen, die Blinden mögen die Stummen betrachten, und die Stummen schreien nach Brot! Die Ameisen mögen Kälber gebären, gebratene Hühner fliegen, die Fladenkuchen wachsen auf Dächern, die Papageien halten Rhetorikkurse, die Hennen bespringen die Hähne, spannt die Karren vor die Ochsen, laßt die Hunde in Betten schlafen und laßt uns alle hinfort auf den Köpfen gehen! Was sollen all diese Possen? Eine verkehrte Welt, erfunden als Gegenteil der von Gott geschaffenen unter dem Vorwand, Gottes Gebote zu lehren!«
»Aber der große Areopagit hat gelehrt«, gab William sanft zu bedenken, »daß Gott nur durch die allerverzerrtesten Dinge benannt werden kann. Und Hugo von Sankt Viktor hat uns daran erinnert, als er sagte: Je mehr die Ähnlichkeit sich unähnlich macht, desto mehr enthüllt sich die Wahrheit unter dem 54
Der Name der Rose – Erster Tag
Schleier erschreckender oder schamloser Figuren und desto weniger heftet sich die Phantasie ans fleischliche Verlangen, sondern sieht sich vielmehr gezwungen, die Geheimnisse aufzudecken, die sich unter der Schändlichkeit der Bilder verbergen . . .«
»Ich kenne das Argument! Und voller Scham muß ich zugeben, daß es das Hauptargument unseres Ordens war, als die cluniazensischen Äbte im Streit mit den Zisterziensern lagen. Aber Sankt Bernhard hatte recht: Wer ständig Monster darstellt und Mißbildungen der Natur, um die Dinge Gottes zu offenbaren per speculum et in aenigmate , der gewinnt allmählich Gefallen an den Scheußlichkeiten, die er ersinnt, und ergötzt sich an ihnen und sieht am Ende nichts anderes mehr als sie! Schaut nur, ihr, die ihr noch euer Augenlicht habt, auf die Kapitelle in eurem Kreuzgang«, und er deutete mit erhobener Hand aus dem Fenster hinüber zur Kirche. »Was bedeuten unter den Augen der meditierenden Mönche jene lächerlichen Monstrositäten, jene deformierte Formenpracht, jene formenprächtigen Deformationen? Jene schmutzigen Affen? Jene Löwen, jene Zentauren, jene menschenähnlichen Wesen, die den Mund am Bauch haben und nur einen Fuß und Segelohren? Jene gescheckten Tiger, jene
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