Der Name der Rose
.«
»Ehrwürdiger Jorge, es scheint mir ungerecht, wenn Ihr den armen Abaelard als Kastraten bezeichnet.
Ihr wißt doch, daß er durch fremde Heimtücke in jene traurige Lage geriet.«
»Sie war die Strafe für seine Sünden. Für die Anmaßung seines Vertrauens in die Vernunft der Menschen.
Der Glaube des einfachen Volkes wurde verhöhnt, Gottes Geheimnisse wurden ergründet (will sagen: man versuchte sie zu ergründen – Narren, die solches versuchen!), Fragen, welche die höchsten Dinge betrafen, wurden tollkühn in Angriff genommen, und die Patres wurden verhöhnt, weil sie der Ansicht gewesen, daß solche Fragen lieber zugedeckt und verdrängt als gelöst werden sollten.«
»Ich kann Eure Meinung nicht teilen, ehrwürdiger Jorge. Gott will, daß wir unsere Vernunft gebrauchen, um viele dunkle Fragen zu lösen, deren Lösung uns die Heilige Schrift freigestellt hat. Und wenn uns jemand eine Meinung vorträgt, sollen wir prüfen, ob sie akzeptabel ist, bevor wir sie übernehmen, denn unsere Vernunft ist von Gott geschaffen, und was ihr gefällt, kann Gottes Vernunft schlechterdings nicht mißfallen
– über die wir freilich nur das wissen, was wir durch Analogie und häufig durch Negation aus den Vorgehensweisen unserer eigenen Vernunft ableiten. Und seht nun, um die falsche Autorität einer 84
Der Name der Rose – Zweiter Tag
absurden, also unserer Vernunft widerstrebenden Meinung zu untergraben, kann manchmal das Lachen ein gutes Mittel sein, das die Übeltäter verwirrt und ihre Dummheit ans Licht bringt. So wird zum Beispiel vom heiligen Maurus erzählt, daß er, als die Heiden ihn in kochendes Wasser tauchten, sich lauthals beklagte, das Bad sei zu kalt – woraufhin der Häuptling der Heiden, dumm wie er war, seine Hand ins Wasser tauchte und sich elendiglich verbrühte. Ein schöner Streich dieses heiligen Märtyrers, mit dem er die Feinde des Glaubens lächerlich machte!«
»Ja, ja«, sagte Jorge spöttisch, »in den Geschichten, die viele Prediger so gern erzählen, finden sich mancherlei Märchen. Ein Heiliger, den man in kochendes Wasser taucht, leidet um Christi willen und unterdrückt seine Schreie; er denkt nicht daran, den Heiden kindische Streiche zu spielen!«
»Seht Ihr«, versetzte William, »diese Geschichte widerstrebt Eurer Vernunft, und so verurteilt Ihr sie als lächerlich. Stillschweigend und ohne die Lippen zu verziehen, lacht Ihr jetzt selbst über etwas, das Ihr nicht ernstnehmen könnt und von dem Ihr wollt, daß auch ich es nicht ernstnehme. Ihr lacht über das Lachen, aber Ihr lacht!«
Jorge schnaubte ärgerlich: »Mit Euren Spielchen über das Lachen verleitet Ihr mich zu leerem Gerede!
Aber Ihr wißt sehr genau: Christus hat nie gelacht!«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher«, erwiderte William heiter. »Als er die Pharisäer aufforderte, den ersten Stein zu werfen, als er fragte, wessen Bildnis auf der Münze sei, die dem Kaiser als Tribut gezahlt werden sollte, als er mit Worten spielte und sagte: › Tu es petrus ‹ – in all diesen Fällen sprach er meines Erachtens mit Witz, um die Sünder zu verwirren. Und witzig war auch, wie er dem Kaiphas antwortete: ›Du sagst es.‹ Und die Stelle bei Jeremias, wo Gott zu Jerusalem sagt: › nudavi femora contra faciem tuam‹ , kommentiert Hieronymus mit den Worten: › sive nudabo et relevabo femora et posteriora tua. ‹. Demnach hat sogar Gott sich durch witzige Wortspiele ausgedrückt, um die Missetäter in Verwirrung zu bringen. Und Ihr wißt sehr genau: Als der Streit zwischen Cluniazensern und Zisterziensern am heftigsten tobte, warfen erstere letzteren vor, um sie lächerlich zu machen, daß sie keine Hosen trügen. Und im Speculum Stultorum wird von dem Esel Brunellus erzählt, daß er sich fragte, was wohl passieren würde, wenn dann der Wind in der Nacht die Decken lüftete und man die Scham der Mönche sehen könnte . . .«
Die Mönche im Umkreis prusteten los, und Jorge ergrimmte sehr: »Ihr verfuhrt die Brüder zu einer schamlosen Heiterkeit! Ich weiß, daß es bei den Franziskanern üblich ist, sich die Sympathien des Volkes mit solchen Narreteien zu sichern, aber zu diesen Spielchen sage ich Euch, was ein Vers besagt, den ich einmal von einem Eurer Prediger hörte: Tum podex carmen extulit horridulum! «
Die Zurechtweisung war ein wenig zu stark. William war impertinent gewesen, sicher, aber jetzt warf Jorge ihm vor, er lasse Maulfurze fahren! Ich fragte mich, ob diese scharfe Replik des
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