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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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und ihm ein gewisses Vertrauen schenkte. Kurzum, Benno gab uns zu verstehen, er wisse zwar nicht, von welchen Geheimnissen neulich zwischen Adelmus, Venantius und Berengar die Rede gewesen sei, aber es würde ihm nicht mißfallen, wenn diese trübe Geschichte ein wenig Licht auf die seltsame Art werfen würde, wie hier die Bibliothek verwaltet werde, und es wäre ihm keineswegs unlieb, wenn Bruder William, wie immer er die zu untersuchende Angelegenheit auch entwirren werde, daraus Elemente gewönne, die den Abt dazu brächten, die geistige Disziplin ein wenig zu lockern, die hier auf den Mönchen laste. Auf Mönchen, so fügte Benno hinzu, die schließlich von weit her gekommen seien, um ihren Geist an den Wunderdingen zu nähren, die der voluminöse Bauch dieser Bibliothek enthalte.
    Ich glaube, daß Benno ehrlich war in dem, was er sagte. Vermutlich wollte er allerdings, wie William es vorausgesehen hatte, sich im gleichen Zuge die Möglichkeit sichern, als erster den Tisch des Venantius zu untersuchen, und um uns von diesem Tisch wegzulocken, war er bereit, uns gleichsam als Preis für die erhoffte Befriedigung seiner Wißbegier andere Informationen zu geben. So erfuhren wir folgendes. Berengar litt, was viele Mönche inzwischen wußten, an einer verzehrenden Leidenschaft für Adelmus – an derselben, deren Schändlichkeit einst den Zorn Gottes auf Sodom und Gomorra niederfahren ließ. So drückte Benno sich aus, vermutlich aus Rücksicht auf mein jugendliches Alter. Indessen weiß jeder, der seine Jugend in einem Kloster verbracht hat, auch wenn er selber stets keusch geblieben ist, daß es diese Leidenschaft gibt, und jeder hat sich gewiß auch schon hüten müssen vor den Nachstellungen derer, die ihr verfallen sind.
    Hatte ich selbst nicht zuweilen heimliche Briefchen von einem älteren Mönch erhalten, in denen Verse standen, wie sie Laien gewöhnlich an Frauenspersonen schreiben? Unsere Keuschheitsgelübde halten uns Mönche fern von der Lasterhöhle des weiblichen Körpers, aber sie bringen uns häufig genug auf andere Irrwege. Kann ich mir schließlich verhehlen, daß ich selber auf meine alten Tage gelegentlich heimgesucht werde vom Dämon der Mittagsstunde, wenn unwillkürlich mein Blick beim Chorgebet auf dem bartlosen Antlitz eines Novizen verweilt, das mir rein und frisch erscheint wie das eines blühenden Mädchens?
    Ich sage das nicht, um meine Entscheidung für das mönchische Leben anzuzweifeln, sondern nur um Verständnis zu wecken für die Verfehlungen jener vielen Mitbrüder, denen diese heilige Bürde gar oft eine drückende Last ist. Vielleicht sage ich es auch ein wenig, um das schlimme Vergehen Berengars zu entschuldigen. Freilich schien dieser Mönch, den Worten Bennos zufolge, seinem Laster in einer noch schändlicheren Weise zu frönen, nämlich indem er die Waffen der Erpressung benutzte, um von anderen zu erhalten, was zu geben Tugend und Anstand ihnen gewiß hätten abraten sollen.
    Seit geraumer Zeit also pflegten die Mönche zu spötteln über die zärtlichen Blicke, die Berengar dem anscheinend sehr anmutigen Adelmus zuwarf. Der jedoch hatte nur Blicke für seine Arbeit, aus welcher er 87
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    offenbar all seine Freude bezog, und so kümmerte ihn die Leidenschaft Berengars kaum. Freilich, wer weiß, vielleicht war er sich auch nur noch nicht bewußt, daß seine Seele im tiefsten Innern zur selben Schändlichkeit neigte. Jedenfalls offenbarte uns Benno, er habe zufällig ein Gespräch zwischen Berengar und Adelmus belauscht, in welchem ersterer unter Anspielung auf ein Geheimnis, das letzterer von ihm erfahren wollte, dem also Begehrten jenen ruchlosen Handel vorschlug, den selbst der allerunschuldigste Leser nun leicht errät. Und wie es schien, vernahm Benno von des Adelmus Lippen Worte der Einwilligung, Worte, die fast erleichtert klangen. Als hätte, mutmaßte Benno, Adelmus im Grunde seines Herzens diesen Moment herbeigesehnt und lediglich einen anderen Grund als den seiner Fleischeslust gebraucht, um endlich einwilligen zu können. Woraus zu schließen sei, daß Berengars Geheimnis wahrscheinlich verborgene Dinge der Wissenschaft betraf, so daß nun Adelmus die Illusion hegen konnte, er füge sich einer Sünde des Fleisches nur, um einer Begierde des Geistes Genüge zu tun. Und wie oft, fügte Benno lächelnd hinzu, sei er nicht selbst schon von so heftigen Geistesbegierden geplagt worden, daß er, um sie zu befriedigen, durchaus bereit gewesen

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