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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wäre, sich den Fleischesbegierden anderer willfährig zu zeigen, auch gegen die eigenen Fleischesbegierden.
    »Gibt es nicht Augenblicke«, fragte er William eifrig, »da auch Ihr bereit wäret, ungute Dinge zu tun, nur um ein Buch in die Hand zu bekommen, das Ihr seit Jahren sucht?«
    »Sylvester II., ein überaus tugendhafter und weiser Papst, gab vor Jahrhunderten einmal sogar eine Armillarsphäre her für eine Handschrift von Statius, glaube ich, oder von Lukan«, sagte William, nicht ohne rasch hinzuzufügen: »Aber es war eine Armillarsphäre, nicht die eigene Tugend!«
    Benno gab zu, daß er in seinem Eifer wohl etwas zu weit gegangen war, und fuhr fort mit seinem Bericht.
    In der Nacht vor dem Tod des Adelmus habe er schließlich, getrieben von seiner Neugier, die beiden verfolgt.
    Am Abend nach der Komplet habe er sie zusammen ins Dormitorium gehen sehen. Lange habe er daraufhin in seiner Zelle, nicht weit von den Zellen der beiden entfernt, hinter der angelehnten Tür gewartet, und als die anderen Mönche fest schliefen, habe er deutlich gesehen, wie Adelmus in Berengars Zelle geschlüpft sei.
    Erregt von seiner Beobachtung, habe er dann keinen Schlaf finden können, und so habe er nach einer Weile gehört, wie Berengars Zellentür plötzlich aufsprang und Adelmus fluchtartig herausgestürmt kam, gefolgt von seinem Freund, der ihn zurückzuhalten versuchte. Der Flüchtende sei die Treppe hinuntergelaufen und Berengar hinterher, woraufhin Benno als Dritter den beiden gefolgt sei, bis er am Fuß der Treppe, also am Eingang zum Korridor vor dem unteren Zellentrakt, gesehen habe, wie Berengar zitternd in einem Winkel stand und die Tür der Zelle von Jorge anstarrte. Offenbar hatte Adelmus sich dem greisen Mitbruder zu Füßen geworfen, um seine Sünde zu beichten. Und Berengar zitterte, weil er wußte, daß sein Geheimnis in diesem Moment enthüllt wurde, wenn auch unter dem Siegel des Sakraments.
    Nach einer Weile sei dann Adelmus bleichen Gesichtes herausgekommen, habe Berengar, der mit ihm sprechen wollte, heftig zurückgestoßen, sei ins Freie hinausgestürzt und um die Apsis herum durch das Nordportal (das nachts immer offen war) in die Kirche geflohen, wohl um zu beten. Berengar sei ihm gefolgt, habe jedoch vor der Kirchentür haltgemacht und sei dann auf dem Friedhof händeringend zwischen den Gräbern umhergelaufen.
    Nun habe Benno nicht mehr gewußt, was er tun sollte, als er plötzlich eine vierte Person in der Nähe bemerkte, die anscheinend gleichfalls den beiden gefolgt war, aber Benno kaum gesehen haben dürfte, da er sich eng an den Stamm einer Eiche am Rande des Friedhofs drückte. Es war Venantius. Als Berengar seiner ansichtig wurde, habe er sich rasch in den Schatten der Grabsteine gekauert, und Venantius sei dann geradewegs zu Adelmus in die Kirche gegangen. An diesem Punkt habe Benno, um nicht entdeckt zu werden, den Rückzug ins Dormitorium angetreten. Und am nächsten Morgen habe er dann erfahren, daß die Leiche des armen Adelmus unten am Steilhang lag. Soweit Bennos Bericht.
    Die Stunde des Mittagsmahles näherte sich, und Benno verließ uns, da William ihm keine Fragen mehr stellte. Wir blieben noch ein paar Minuten hinter dem Badehaus und gingen dann langsam durch den Garten, schweigend den einzigartigen Enthüllungen nachsinnend, die wir soeben vernommen hatten.
    »Frangula«, sagte William plötzlich und beugte sich über einen dürren Strauch, den er offenbar an seinen Winterstauden erkannt hatte. »Ein guter Rindentee gegen Hämorrhoiden. Und das hier ist Arctium lappa, ein kräftiger Breiumschlag aus seinen frischen Wurzeln heilt die Ekzeme der Haut.«
    »Ihr seid besser als Meister Severin«, unterbrach ich ihn, »aber sagt mir jetzt, was Ihr von alledem haltet.«
    »Mein lieber Adson, du solltest lernen, mit deinem eigenen Kopf zu denken. Benno hat uns
    wahrscheinlich die Wahrheit gesagt. Sein Bericht paßt zu dem, was uns Berengar heute morgen erzählt hat, wenn auch durchsetzt mit Halluzinationen. Rekonstruieren wir. Berengar und Adelmus tun etwas sehr Schlimmes miteinander, wie wir bereits vermuteten. Dabei wird Berengar dem Adelmus jenes Geheimnis 88
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    verraten haben, das nun leider wohl ein Geheimnis bleibt. Adelmus, entsetzt über sein Vergehen gegen die Keuschheit und gegen die Regeln der Natur, denkt nur daran, sich jemandem anzuvertrauen, der ihm Absolution erteilen kann, und rennt Hals über Kopf zu Jorge. Der aber ist ein gestrenger

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