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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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aufgefallen war.
    Unwillkürlich entfuhr mir ein bewundernder Ausruf beim Anblick all dieser herrlichen Kultgeräte. Es war um die Mittagsstunde, das Sonnenlicht fiel in gebündelten Strahlen durch die Fenster des Chors ein und mehr noch durch die der Seitenschiffe, so daß es helle Kaskaden bildete, die gleich mystischen Strömen von wahrhaft göttlicher Substanz einander an mehreren Stellen des weiten Kirchenraums überkreuzten und den Altar regelrecht überfluteten.
    Die Schalen, die Kelche, das Kruzifix, alles offenbarte sein kostbares Material. Zwischen dem blitzenden Gelb des Goldes, dem fleckenlosen Weiß des Elfenbeins und dem transparenten Glanz der Kristalle sah ich Gemmen in allen Farben und Formen aufleuchten und erkannte die edelsten Steine, Hyazinth und Topas, Rubin und Smaragd, Saphir, Chrysolith und Karfunkel, Onyx, Achat und Jaspis. Und ich bemerkte, was ich am Morgen, als ich zuerst im Gebet entrückt und dann vom Schrecken erfaßt war, noch nicht so recht wahrgenommen: Das Antependium des Altars und drei weitere Beschläge, die ihn schmückten, waren gänzlich aus Gold, ja aus Gold erschien der gesamte Altar, von welcher Seite man ihn auch betrachtete.
    Der Abt sah mein Staunen und lächelte. »Die Reichtümer, die Ihr hier seht«, erklärte er meinem Meister und mir, »und andere, die Ihr noch sehen werdet, sind das Vermächtnis von Jahrhunderten frommer Andacht und Devotion, ein Zeugnis der Macht und Heiligkeit dieser Abtei. Fürsten und Potentaten der Erde, Erzbischöfe und Bischöfe haben für diesen Altar und seine Geräte die Ringe ihrer Investitur gespendet sowie das Gold und die Edelsteine, die ihre Größe bezeugten, auf daß alles hier eingeschmolzen werde zur höheren Ehre Gottes und dieses seines heiligen Ortes. Mag die Abtei auch heute erneut von einem schmerzlichen Trauerfall heimgesucht worden sein, so dürfen wir angesichts unserer Hinfälligkeit auf Erden doch nicht die Kraft und Herrlichkeit des Allmächtigen vergessen. Das Fest der heiligen Weihnacht naht, und so beginnen wir, die geweihten Geräte zu putzen, auf daß die Geburt des Erlösers gefeiert werde in allem gebotenen Prunk und aller gebührenden Pracht. Alles hier muß in herrlichstem Glänze erstrahlen
    . . .«, fügte er an und sah William fest in die Augen, und gleich danach begriff ich, warum er so stolz darauf beharrte, sein Tun zu rechtfertigen, »denn wir halten dafür, daß es nützlich und gut ist, die Wohltaten Gottes nicht zu verbergen, sondern im Gegenteil offen zu zeigen.«
    »Gewiß«, sagte William höflich, »wenn Eure Erhabenheit es für richtig hält, daß der Herr auf diese Weise gepriesen sei, so hat Eure Abtei die höchste Stufe in dieser Form der Lobpreisung erreicht.«
    »Und so soll es sein«, erklärte der Abt. »Wenn goldene Krüge und goldene Phiolen und kleine goldene Mörser nach Gottes Wort oder dem Geheiß der Propheten im Tempel Salomons dazu dienten, das Blut der geopferten Ziegen und Kälber und der roten Färse aufzufangen, um wieviel mehr müssen dann goldene Schalen und kostbare Steine und alle wertvollen Dinge der Schöpfung in steter Ehrfurcht und größter Andacht ausgelegt werden, wenn es gilt, das Blut Christi aufzunehmen! Gliche dank einer zweiten Schöpfung unsere Substanz selbst jener der Cherubim und Seraphim, so wäre der Dienst, den sie einem so unbeschreiblichen Opfer zu leisten vermöchte, noch immer nicht seiner würdig . . .«
    »So ist es«, sagte ich fromm.
    »Viele wenden hier ein«, fuhr der Abt fort, »daß ein von Andacht durchdrungener Geist, ein reines Herz und eine redliche Absicht für dieses heilige Amt genügen müßten. Wir sind gewiß die ersten, die ausdrücklich und entschieden erklären, daß dies das wesentliche ist. Aber wir sind zugleich überzeugt, daß man Gott auch durch den äußeren Zierat der Weihegeräte huldigen muß, denn es ist in höchstem Maße nur recht und billig, daß wir unserem Erlöser mit allen Dingen restlos dienen – Ihm, der es nicht verschmäht hat, für uns mit allen Dingen restlos und ohne Vorbehalt zu sorgen.«
    »Seit jeher war dies die Ansicht der Großen Eures Ordens«, pflichtete William bei, »und ich entsinne 90
    Der Name der Rose – Zweiter Tag
    mich schönster Ausführungen über die Ornamente der Kirchen aus der Feder Eures hochbedeutenden und venerablen Abtes Suger.«
    »So ist es«, sagte der Abt. »Seht dieses Kruzifix hier. Es ist noch nicht vollendet . . .« Er nahm es unendlich liebevoll in die Hand und

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