Der Name der Rose
betrachtete es, wobei sein Gesicht vor Glückseligkeit leuchtete. »Es fehlen noch einige Perlen, ich habe noch keine von der richtigen Größe gefunden. Einst sagte Sankt Andreas vom Kreuz auf Golgatha, es sei mit den Gliedern Christi geschmückt wie mit Perlen. Mit Perlen muß also dies schwache Abbild jenes großen Wunders geschmückt sein. Auch wenn ich es für angebracht hielt, an dieser Stelle, just über dem Haupt des Erlösers, den schönsten Diamanten einfügen zu lassen, den Ihr je gesehen habt . . .«
Andächtig streichelten seine langen weißen Finger die kostbarsten Teile des heiligen Holzes, will sagen des heiligen Elfenbeins, denn aus diesem herrlichen Material waren die Arme des Kreuzes gemacht.
»Immer wenn mich, während ich voller Entzücken die Schönheiten dieses Gotteshauses betrachte, der Zauber seiner vielfarbigen Steine den äußeren Sorgen entrissen hat und eine würdige Meditation mich dazu bringt, durch Übertragung des Materiellen aufs Immaterielle nachzudenken über die Mannigfaltigkeit der heiligen Kräfte, dünkt mich, als sei ich gleichsam versetzt worden in eine sonderbare Region des Universums, die weder völlig befangen im Schlamm der Erde ist, noch völlig frei in der Reinheit des Himmels. Und mir ist, als könnte ich dank Gottes Gnade aus dieser niederen Welt anagogisch entrückt werden in jene höhere . . .«
Der Abt hatte sich umgewandt und schaute versonnen ins Kirchenschiff. Ein Lichtstrahl, der aus der Höhe kam, erleuchtete ihm dank einer besonderen Güte des Tagesgestirns das Antlitz und beide Hände, die er hingerissen von seiner eigenen Inbrunst zur Form eines Kreuzes geöffnet hatte, und beseelt fuhr er fort:
»Alle Kreatur, ob sichtbar oder unsichtbar, ist Licht, zum Dasein gebracht vom Vater des Lichtes. Dieses Elfenbein, dieser Onyx, doch ebenso auch der Stein, der uns umgibt, sind Licht, denn ich erkenne, daß sie gut und schön sind, daß sie nach ihren richtigen Proportionsregeln existieren, daß sie sich nach Art und Gattung von allen anderen Arten und Gattungen unterscheiden, daß sie durch ihre eigene Zahl definiert sind, daß sie nicht abnehmen in ihrer Ordnung, daß sie sich ihren spezifischen Ort gemäß ihrer Schwerkraft suchen. Und je mehr diese Dinge mir offenbar werden, desto mehr wird die Materie, die ich betrachte, ihrer Natur nach kostbar und desto mehr verwandelt sie sich zum Licht der göttlichen Schöpfungsmacht, denn wenn ich von der Erhabenheit einer Wirkung zurückschließen muß auf die Erhabenheit ihrer Ursache, die mir in ihrer ganzen Fülle stets unerreichbar bleibt, um wieviel mehr spricht dann eine so herrliche Wirkung wie die des Goldes und der Diamanten von der göttlichen Kausalität, wenn selbst der Kot und das kleinste Insekt von ihr zu künden vermögen! Stets also, wenn ich in diesen Steinen so hohe Dinge erkenne, geht mir die Seele über vor freudiger Rührung – und das nicht aus irdischer Eitelkeit oder Liebe zum Reichtum, sondern aus reinster Liebe zur causa prima non causata .«
»Wahrlich, das ist die süßeste aller Theologien«, sagte William in vollendeter Demut, und mir schien, daß er dabei jene hinterhältige Denkfigur gebrauchte, die von den Rhetorikern Ironie genannt wird und die man stets nur gebrauchen sollte, nachdem man ihr die Pronuntiatio vorausgeschickt hat, die ihr Signal und ihre Rechtfertigung darstellt. Was William so gut wie niemals tat, weshalb ihn der Abt, der mehr dem korrekten Gebrauch der Redefiguren zugeneigt war, nun wörtlich nahm und, immer noch entrückt in seiner mystischen Verzückung, anfügte: »Sie ist die kürzeste aller Straßen, die uns in Kontakt mit dem Höchsten bringen, die materielle Theophanie.«
William hüstelte wohlerzogen und machte »Hm, äh . . .« So tat er es immer, wenn er auf ein neues Thema überleiten wollte, und er konnte das sehr elegant, denn er pflegte (wie es, glaube ich, typisch ist für die Menschen aus seiner Heimat) seine Interventionen stets mit langem Geächz und Gehüstel vorzubereiten, als kostete es ihn große Anstrengungen, einen neuen Gedanken darzulegen. Doch je mehr Geächz und Gehüstel er seiner Darlegung vorausschickte, desto überzeugter war er gewöhnlich, wie ich inzwischen wußte, von der Richtigkeit seiner Argumente.
»Hm, äh . . .«, machte William also. »Wir sollten jetzt vielleicht von dem bevorstehenden Treffen reden und von der Debatte über die Armut . . .«
»Die Armut, ach ja . . .«, der Abt war noch ganz versunken, als hätte
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