Der Name der Rose
Perugia triumphieren zu lassen und zugleich den Konsens des Papstes dafür zu gewinnen, nicht zuletzt wohl, weil er ahnte, daß er sich ohne diesen Konsens kaum noch lange an der Spitze des Ordens würde halten können.
Viele hatten ihm dann allerdings zu bedenken gegeben, daß der Papst ihn in Frankreich vermutlich nur haben wollte, um ihn in eine Falle zu locken, der Ketzerei zu bezichtigen und vor Gericht zu stellen. Daher rieten sie zu einer Reihe von Vorverhandlungen als Voraussetzung für Michaels Gang nach Avignon.
Marsilius von Padua hatte jedoch eine bessere Idee: Zusammen mit Michael sollte ein kaiserlicher Gesandter nach Avignon gehen, um dem Papst den Standpunkt der Vertreter des Reiches vorzutragen. Nicht so sehr um den alten Cahors zu überzeugen, als vielmehr um Michaels Position zu stärken, denn als Teil einer kaiserlichen Gesandtschaft würde das Oberhaupt der Franziskaner nicht so leicht der päpstlichen Rache anheimfallen können.
Indessen hatte auch diese Idee zahlreiche Nachteile und ließ sich nicht unverzüglich verwirklichen. So entstand schließlich die Idee eines vorbereitenden Treffens zwischen Mitgliedern der kaiserlichen Gesandtschaft und einigen Abgesandten des Papstes zwecks Prüfung der beiderseitigen Positionen und Formulierung der Abkommen für ein Treffen in Avignon, bei welchem die Sicherheit der italienischen Besucher gewährleistet sein würde. Mit der Organisation dieses vorbereitenden Treffens wurde just mein Meister William von Baskerville betraut, der anschließend auch den Standpunkt der kaiserlichen Theologen vertreten sollte, falls er zu der Ansicht gelangen würde, daß die Reise nach Avignon ohne Gefahren möglich war. Ein nicht eben leichtes Unterfangen, da man annehmen mußte, daß der Papst, der Michael allein bei 92
Der Name der Rose – Zweiter Tag
sich haben wollte, um ihn leichter in die Knie zwingen zu können, eine Legation nach Italien schicken werde mit dem Auftrag, die Reise der kaiserlichen Gesandten an seinen Hof nach Möglichkeit scheitern zu lassen.
Bisher hatte William sich sehr geschickt verhalten. Nach langen Besprechungen mit verschiedenen Benediktineräbten in Mittel- und Norditalien (dies war der Grund für die vielen Etappen auf unserer Reise gewesen) hatte er schließlich eben diese Abtei gewählt, in der wir uns nun befanden, weil der Abt Abbo bekannt war für seine Ergebenheit gegenüber dem Reich und gleichwohl dank seiner diplomatischen Geschicklichkeit am päpstlichen Hof keinen schlechten Ruf hatte. Mithin war die Abtei ein neutrales Gebiet, bestens geeignet zum Treffen der beiden Legationen.
Dennoch waren damit die Widerstände des Pontifex nicht überwunden. Er wußte, daß seine Legaten, einmal auf dem Gebiet der Abtei, der Jurisdiktion des Abtes unterstehen würden, und da er auch Mitglieder des säkularen Klerus zu entsenden gedachte, akzeptierte er diese Bedingung nicht, wobei er Furcht vor einer Falle der Kaiserlichen vorschützte. Statt dessen stellte er seinerseits die Bedingung, daß die Sicherheit seiner Legaten von einer Abteilung bewaffneter Bogenschützen des Königs von Frankreich unter dem Kommando einer Person seines Vertrauens gewährleistet sein müsse. Davon hatte ich William mit einem Botschafter des Papstes in Bobbio reden hören. Soweit ich begriff, ging es bei ihrer Verhandlung um die Definition der Rechte und Pflichten dieser Abteilung, beziehungsweise um die Frage, was unter dem Schutz der Sicherheit der päpstlichen Legation zu verstehen sei. Man hatte sich schließlich auf eine Formel geeinigt, die von den Avignonesern vorgeschlagen worden war und allseits vernünftig erschien: Die Bewaffneten und ihr Kommandant sollten Jurisdiktion über alle jene Personen haben, »die in irgendeiner Weise versuchten, Anschläge auf das Leben der Mitglieder der pontifikalen Legation zu verüben oder deren Verhalten und Urteil durch gewaltsame Akte zu beeinflussen«. Damals erschien das Abkommen als eine reine Formsache, geboren aus formaljuristischem Geiste. Nun aber, nach den jüngsten Vorfällen hier in der Abtei, war der Abt sehr beunruhigt und legte William seine Besorgnis dar: Wenn es bis zum Eintreffen der päpstlichen Legation nicht gelungen sein sollte, den Urheber der beiden hier geschehenen Verbrechen zu finden (am nächsten Tag sollte der Abt noch besorgter sein, hatte er es dann doch bereits mit drei Verbrechen zu tun . . .), so werde man wohl oder übel zugeben müssen, daß hier jemand umging, der durchaus
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