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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mit allen weiblichen Reizen versehen.« Er deutete auf die zierliche Büste der Jungfrau, die gestrafft und hochgestützt wurde durch ein schmales Korsett, an dessen Bändern die zarten Hände des Kindes spielten. »Siehst du? Pulchra enim sunt ubera quae paululum supereminent et tument modice, nec fluitantia licenter, sed leniter restricta, repressa sed non depressa 58 … Was empfindest du angesichts dieses lieblichen Bildes?«
    Ich errötete heftig und fühlte ein inneres Feuer in mir aufsteigen. Ubertin mußte es gemerkt haben, vielleicht sah er auch die Glut auf meinen Wangen, denn er fügte sogleich hinzu: »Doch du mußt lernen, das Feuer der übernatürlichen Liebe zu unterscheiden vom Entzücken der Sinne. Das ist sehr schwierig, auch für die Heiligen.«
    »Aber woran erkennt man die fromme Liebe?«
    »Ach, mein Sohn, was ist überhaupt die Liebe? Nichts in der Welt, weder Mensch noch Teufel noch sonst etwas, ist so zwiespältig wie die Liebe, denn sie dringt tiefer in deine Seele ein als alles andere. Nichts beschäftigt und bindet das Herz so sehr wie die Liebe. Deswegen kann sie dich, wenn deine Seele nicht die nötigen Waffen hat, um sie zu meistern und zu beherrschen, in tiefes Verderben stürzen. Auch Dolcino, glaube ich, wäre nicht ins Verderben gestürzt ohne die Verlockungen der Margaretha, noch wären ohne das dreiste und zuchtlose Leben auf der Parete Calva so viele Menschen dem Zauber seiner Revolte erlegen. Und merke, mein Sohn, dies sage ich nicht allein von der unfrommen Liebe, die natürlich allzeit zu meiden ist als ein Werk des Teufels, sondern ich sage es auch mit Furcht und Zittern von der frommen Liebe, von der des Menschen zu Gott und zu seinem Nächsten. Oft genug kommt es vor, daß zwei oder drei Menschen, Männer oder Frauen, einander von Herzen lieben und ehrlich zugetan sind, und wollen immer zusammenleben, und dann ist's zur Hälfte Wollen und zur Hälfte Begehren. Ich gestehe dir, ein solches Gefühl empfand ich für hehre Frauen wie Clara und Angela. Und doch ist auch das sehr verwerflich, mag es sich auch nur im Geiste vollziehen und für Gott … Denn auch die Liebe, die du in der Seele empfindest, so du nicht gewappnet bist, sondern dich ihr mit Inbrunst auftust, kann dich zu Fall bringen oder zutiefst verwirren. Oh ja, mein Sohn, die Liebe hat viele Gesichter, zuerst entbrennt deine Seele für sie in zärtlicher Rührung, dann wird sie krank … Dann aber, dann spürt sie auf einmal die wahre Glut der göttlichen Liebe und schreit, bricht in ein großes Klagen aus, macht sich zum Stein, der in die Esse gelegt worden ist, damit er zu Kalk zerfalle, und prasselt umlodert von Flammen …«
    »Und das ist dann fromme Liebe?«
    Ubertin strich mir sanft übers Haar, und als ich ihm in die Augen sah, waren sie tränenumflort. »Ja, mein Sohn, das endlich ist fromme Liebe.« Er nahm seine Hand von meiner Schulter. »Aber wie schwer, wie unendlich schwer ist sie zu erkennen! Manchmal, wenn deine Seele vom Dämon heimgesucht wird, fühlst du dich wie ein Gehenkter, der mit verbundenen Augen und auf dem Rücken gefesselten Händen am Galgen schwebt, aber weiterlebt, hilflos, haltlos, ohne Aussicht auf Rettung im Leeren hangend …«
    Sein Antlitz war jetzt nicht nur tränenüberströmt, sondern auch schweißbedeckt. »Geh jetzt, geh!« rief er hastig und wandte sich ab. »Ich habe dir gesagt, was du wissen wolltest. Hier der Engelchor, dort der Höllenschlund. Geh rasch, und gelobt sei der Name des Herrn!« Er warf sich erneut vor der Jungfrau zu Boden, ich hörte ihn leise schluchzen. Er betete.
     
    Ich trat ins Dunkel zurück, verließ aber nicht die Kirche. Das Gespräch mit Ubertin hatte ein seltsames Feuer in meiner Seele entzündet, und in meinen Eingeweiden rumorte eine nie gekannte Unruhe. War das der Grund, warum ich auf einmal den Stachel des Ungehorsams verspürte und beschloß, mich auf eigene Faust in die Bibliothek zu wagen? Nicht daß ich dort etwas Bestimmtes suchte, ich wollte nur einfach allein einen unbekannten Ort erkunden und war fasziniert von dem Gedanken, mich ohne die Hilfe meines Meisters orientieren zu können. Ich stürmte hinauf, wie Dolcino auf den Monte Rebello gestürmt war.
    Die Öllampe trug ich bei mir (warum hatte ich sie mitgenommen? hatte ich etwa den Plan schon insgeheim in meinem Herzen bewegt?), und so drang ich fast blindlings in das Ossarium ein. Kurz darauf war ich im Skriptorium.
    Es muß wahrhaftig ein Schicksalsabend gewesen sein, denn

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