Der Name der Rose
mit Lebensmitteln zu versorgen. Kurz, er führte einen regelrechten Krieg gegen die Ländereien ringsum.«
»Und alle waren gegen ihn?«
»Ich weiß nicht, vielleicht bekam er von manchen auch Unterstützung. Ich sagte dir doch, er hatte sich in ein unentwirrbares Knäuel lokaler Fehden und Zwieträchten eingefädelt. Aber dann kam der Winter des Jahres 1305, der einer der strengsten seit Jahrzehnten war, und überall herrschte große Not. Dolcino sandte ein drittes Rundschreiben aus, und noch einmal strömten ihm viele neue Anhänger zu, doch das Leben auf der Kahlen Wand wurde immer unerträglicher, und schließlich wurde der Hunger so groß, daß sie Pferdefleisch aßen und andere unreine Tiere und gekochtes Heu. Und viele starben daran.«
»Und gegen wen kämpften sie jetzt noch?«
»Der Bischof von Vercelli hatte sich an Papst Clemens V. gewandt, und sie hatten zu einem Kreuzzug gegen die Ketzer aufgerufen. Jedem, der sich von den Dolcinianern lossagte, wurde uneingeschränkte Straffreiheit zugesichert; Ludwig von Savoyen, die lombardischen Inquisitoren und der Erzbischof von Mailand wurden mobilisiert. Viele nahmen das Kreuz und kamen den Vercellesen und Novaresen zu Hilfe, auch Leute aus der Provence und aus Frankreich kamen, und der Bischof von Vercelli hatte das Oberkommando. Es gab immer wieder Scharmützel zwischen den Vorhuten der beiden Armeen, aber Dolcinos Festung war uneinnehmbar, und irgendwie erhielten die Ketzer auch immer wieder Hilfe.«
»Von wem?«
»Nun, ich denke von anderen Ketzern, von gottlosem Volk, das Freude an diesem Durcheinander empfand. Gegen Ende 1305 sah sich der Häresiarch dann allerdings gezwungen, die Kahle Wand zu verlassen. Er ließ die Toten und Verwundeten liegen und floh in die Gegend von Trivero, wo er sich mit dem Rest seiner Horde erneut auf einem Berg verschanzte, der damals Zubello hieß und seither Rubello oder Rebello genannt wird, weil er zur letzten Festung der Rebellen gegen die Kirche wurde. Kurzum, ich kann dir nicht alle Einzelheiten erzählen, es kam zu schrecklichen Greueln und Metzeleien, doch schließlich mußten sich die Rebellen ergeben. Dolcino und die Seinen wurden gefangengenommen und endeten, wie das Gesetz es befahl, auf dem Scheiterhaufen.«
»Auch die schöne Margaretha?«
Ubertin sah mich an. »Du hast dir gemerkt, daß sie schön war, stimmt's? Ja, sie war wunderschön, heißt es, und viele adlige Herren aus der Gegend wollten sie freien, um sie vor dem Scheiterhaufen zu retten. Aber sie wollte nicht. Sie starb gottlos mit ihrem gottlosen Buhlen. Laß dir das eine Lehre sein, mein Sohn: Hüte dich vor der Hure von Babylon, auch wenn sie dir in Gestalt der lieblichsten aller Kreaturen erscheint!«
»Gewiß, ehrwürdiger Vater«, versicherte ich. »Aber sagt mir jetzt, ich habe munkeln gehört, daß der Cellerar dieser Abtei und vielleicht auch der Mönch Salvatore den Dolcinianern begegnet seien und irgendwie auch bei ihnen waren …«
»Still, urteile nicht aufgrund von Gerüchten! Ich habe den Cellerar in einem Minoritenkloster kennengelernt – nach den Ereignissen, von denen ich hier erzähle, gewiß. Aber viele Spiritualen hatten in jenen Jahren, bevor sie Zuflucht im Orden des heiligen Benedikt suchten, ein recht bewegtes Leben geführt und ihre Klöster verlassen müssen. Ich weiß nicht, wo Remigius vorher gewesen war, ich weiß aber, daß er stets ein guter Mönch gewesen ist, jedenfalls was die Rechtgläubigkeit betrifft … Ansonsten … nun ja, das Fleisch ist schwach …»
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Nichts, nichts, was dich angeht. Diese Dinge brauchst du nicht zu wissen … Beziehungsweise, da wir hier schon davon sprechen … nun ja, ich habe munkeln gehört, daß der Cellerar gewissen Versuchungen nicht … Doch nein, das sind Gerüchte! Du mußt lernen, dergleichen nicht einmal zu denken!« Er zog mich erneut fest an sich und deutete zu dem Marienbildnis auf der Säule empor. »Du mußt dich der unbefleckten Liebe zuwenden. Siehe, in der Jungfrau Maria hat sich die Weiblichkeit sublimiert, und darum kannst du von ihr auch sagen, daß sie schön ist wie die Geliebte im Canticum Canticorum! Ja wahrlich, an ihr« – rief Ubertin hingerissen, das Antlitz entflammt von einer inneren Freude, ganz wie am Vortag der Abt, als er von seinen kostbaren Gemmen und goldenen Bechern sprach – »an ihr wird die Anmut des irdischen Körpers zum Zeichen der himmlischen Schönheit, und darum hat der Bildhauer sie auch zu Recht
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