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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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gehen, denn die Bogenschützen patrouillierten in der Abtei. Er entgegnete seelenruhig, das mache ihm gar nichts aus, er kenne die Abtei besser als die Bogenschützen und bei diesem Nebel könne sowieso keiner irgendwas sehen. Jawohl, und er werde sich jetzt verdrücken, und nicht einmal ich würde ihn noch sehen, selbst wenn er sich zwei Schritte neben mir mit dem Mädchen vergnügte, das mir so sehr am Herzen liege. Er drückte sich anders aus, noch viel vulgärer, aber das ungefähr war der Sinn seiner Worte. Angewidert ließ ich ihn stehen und ging davon, denn gewiß war es eines Novizen aus nobler Familie nicht würdig, sich mit einer solchen Kanaille herumzustreiten.
    Ich holte William ein, und wir taten, was getan werden mußte. Will sagen, wir begaben uns in die Kirche, um dem Nachtgottesdienst beizuwohnen, und stellten uns in den hinteren Teil des Hauptschiffes, so daß wir nach dem Schlußgebet gleich aufbrechen konnten zu unserer zweiten (meiner dritten) Erkundungsreise ins Innere des Labyrinths.

NACH KOMPLET
    Worin man erneut ins Labyrinth eindringt und an die Schwelle des Finis Africae gelangt, aber nicht hineinkann, weil man nicht weiß, was der Erste und Siebente der Vier sind, während Adson abermals einen – diesmal übrigens recht gelehrten – Rückfall in seine Liebeskrankheit erleidet.
    Die Erkundung der Bibliothek kostete uns viele Stunden mühseliger Arbeit. In Worten war leicht gesagt, was wir zu tun hatten, aber vorzudringen im Licht unserer Öllampen, die Inschriften über den Rundbögen zu entziffern, die Durchgänge und die türlosen Wände auf unserem Plan zu markieren, die Anfangsbuchstaben einzutragen, die verschlungenen Wege zurückzulegen, die uns das Spiel der Öffnungen und Vermauerungen gebot, das war ein langwieriges Unterfangen. Und ermüdend.
    Zudem war es sehr kalt. Die Nacht war nicht stürmisch, so daß wir nicht jenes feine Heulen vernahmen, das uns beim ersten Mal so beeindruckt hatte, aber durch die Mauerschlitze drang eine feuchtkalte Nebelluft ein. Wir hatten uns wollene Handschuhe angezogen, um die Bücher berühren zu können, ohne daß uns die Finger erstarrten, aber es waren Handschuhe ohne Fingerspitzen, wie man sie zum Schreiben im Winter benutzt, und so mußten wir unsere klammen Hände immer wieder über die Flamme halten oder vor der Brust in die Kutte schieben oder gegeneinanderschlagen, rhythmisch hüpfend auf steifen Beinen.
    Aus all diesen Gründen erledigten wir denn auch nicht unsere ganze Arbeit in einem Zuge, sondern verhielten immer wieder vor einem Bücherschrank, und da William – mit seinen neuen Augengläsern – die Bücher nun lesen konnte, brach er bei jedem Titel, den er entdeckte, in mehr oder minder heftige Freudenschreie aus, sei's weil er das betreffende Werk bereits kannte oder weil er es seit langem suchte oder auch weil er noch niemals davon gehört hatte und daher um so erregter und wißbegieriger war. Kurzum, jedes Buch war für ihn wie ein Fabelwesen, dem man in einem fremden Lande begegnet. Und während er noch in einer Handschrift blätterte, schickte er mich bereits auf die Suche nach anderen.
    »Sieh nach, was in jenem Schrank dort steht!«
    Und ich, buchstabierend und Folianten wälzend: » Historia anglorum von Beda … Und weiter von Beda De aedificatione templi , De tabernaculo , De temporibus et computo et chronica et circuli Dionysi , Ortographia , De ratione metrorum , Vita Sancti Cuthberti , Ars metrica …«
    »Natürlich, sämtliche Werke des Venerabilis … Und sieh mal hier: De rhetorica cognatione , Locorum rhetoricorum distinctio , und hier lauter Grammatiker: Priscianus, Donatus, Maximus, Victorinus, Eutyches, Phocas, Asper … Komisch, ich hatte gleich das Gefühl, daß hier Autoren aus Anglia stehen … Sehen wir mal weiter unten nach …«
    » Hisperica … famina . Was ist das?«
    »Ein hiberno-lateinisches Gedicht. Hör zu:
     
    Hoc spumans mundanas obvallat Pelagus oras
    terrestres amniosis fluctibus cudit margines.
    Saxeas undosis molibus irruit avionias.
    Infima bomboso vertice miscet glareas
    asprifero spergit spumas sulco,
    sonoreis frequenter quatitur flabris … 85 «
     
    Ich verstand zwar den Sinn nicht, aber William ließ die Worte so ausdrucksvoll auf der Zunge rollen, daß ich das Rauschen des Meeres und das Zischen der Brandung zu hören vermeinte. »Und das hier? Es ist Aldhelm von Malmesbury, hört einmal diese Stelle: Primitus pantorum procerum poematorum pio potissimum paternoque presertim

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