Der Name der Rose
Kirche sei und sogar Abt eines Ordens, dem die Kirche so viel verdanke (ein respektvolles Murmeln und zustimmendes Nicken ging durch beide Hälften des Kreises), sei er aus mancherlei Gründen, die Bruder William von Baskerville später noch darlegen werde, nicht der Ansicht, daß man den Kaiser aus diesen Angelegenheiten heraushalten solle. Freilich müsse der erste Teil der Debatte zunächst allein zwischen den Abgesandten der Kurie und jenen Repräsentanten der Kinder des heiligen Franz stattfinden, die schon dadurch, daß sie überhaupt zu diesem Treffen gekommen seien, sich als gehorsame Kinder des Heiligen Vaters erwiesen hätten. So möge nun Michael oder jemand an seiner Stelle darlegen, was er in Avignon vorzutragen gedenke.
Michael antwortete, zu seiner großen Freude und Rührung befinde sich unter ihnen an diesem Morgen Ubertin von Casale, den der Heilige Vater selbst im Jahre 1322 um eine fundierte Stellungnahme zur Frage der Armut Christi gebeten habe, und so werde nun dieser hochgeachtete Bruder mit seiner bekannten Luzidität, Gelehrtheit und leidenschaftlichen Rechtgläubigkeit die Kernpunkte dessen zusammenfassen, was mittlerweile – und unwiderruflich – die Überzeugungen des Franziskanerordens seien.
Ubertin erhob sich, und kaum daß er zu sprechen begonnen hatte, verstand ich, warum er stets und überall soviel Begeisterung weckte, sei's als Prediger oder als Mann des Hofes. Leidenschaftlich im Gestus, gewinnend im Duktus, bezaubernd im Lächeln, klar und folgerichtig im Argumentieren, vermochte er seine Zuhörer bis zum letzten Wort seiner Rede zu fesseln. Er begann mit einer hochgelehrten Explikation der Gründe, die den Thesen von Perugia unterlagen. Vor allem, sagte er, müsse man sich darüber im klaren sein, daß Christus und seine Jünger einen Doppelstatus gehabt hätten. Zum einen seien sie Würdenträger der Kirche des Neuen Testaments gewesen, und als solche hätten sie, im Hinblick auf ihre Gewährungs- und Verteilungsbefugnis, weltliche Güter besessen, um sie den Armen und den Dienern der Kirche zu geben, wie es geschrieben stehe im vierten Kapitel der Acta Apostolorum, und das wolle niemand bestreiten. Zum anderen aber seien Christus und die Apostel auch als Privatpersonen anzusehen, als Grundpfeiler jeder religiösen Vollkommenheit und als vollkommene Weltverächter. In diesem Zusammenhang gebe es nämlich zweierlei Arten von Haben. Die eine sei zivil und weltlich und in den kaiserlichen Gesetzen mit den Worten » in bonis nostris « 91 definiert, denn »unser« würden dort jene Güter genannt, die man verteidigen und, wenn sie einem genommen werden, zurückfordern dürfe (und zu behaupten, Christus und die Apostel hätten in diesem Modus weltliche Güter besessen, sei eine häretische Aussage, heiße es doch bei Matthäus im fünften Kapitel: »So jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel«, und nichts anderes steht auch im sechsten Kapitel bei Lukas, mit welchen Worten Christus jede weltliche Habe und Herrschaft von sich gewiesen und seinen Jüngern geboten habe, desgleichen zu tun, siehe dazu auch Matthäus Kapitel neunzehn, wo Petrus zum Herrn sagt, sie hätten alles verlassen, um ihm zu folgen). Doch auch in der anderen Art und Weise könne man weltliche Güter haben, nämlich im Hinblick auf die gemeinsame brüderliche Barmherzigkeit, und in diesem Modus hätten Christus und seine Jünger Dinge gehabt aus natürlichem Recht, welches Recht von manchen ius poli genannt werde, also ein Recht des Himmels, das die Natur durchwalte, die ohne menschliche Zutat gleichklingend sei mit der rechten Vernunft (im Gegensatz zum ius fori als der Verfügungsgewalt, die abhängig sei von menschlicher Übereinkunft). Vor der ersten Teilung der Dinge nämlich seien, was den Besitz und die Herrschaft betreffe, alle Güter gewesen wie heute nur jene, die keinem gehören und sich einem jeden darbieten, der nach ihnen greift; in gewissem Sinne seien sie also Gemeineigentum aller Menschen gewesen, und erst nach dem Sündenfall hätten unsere Urahnen angefangen, sich das Eigentum an den Dingen zu teilen, und damit hätten die weltlichen Herrschaften, wie wir sie heute kennen, begonnen. Aber Christus und die Apostel hätten die Dinge nur in der ersten Weise besessen, so und nicht anders hätten sie ihre Kleidung gehabt und das Brot und die Fische, und wie Paulus im ersten Brief an Timotheus schrieb: Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so seien wir's
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