Der Name der Rose
zufrieden. Mithin hätten Christus und seine Jünger die Dinge nicht im Besitz gehabt, sondern im Nießbrauch , so daß ihre Armut dadurch in keiner Weise geschmälert worden sei. Wie es bekanntlich auch schon Papst Nikolaus II. anerkannt habe in seiner Dekretalepistel Exiit qui seminat .
Auf der Gegenseite erhob sich nun Jean d'Anneaux und sagte, seines Erachtens verstießen die Ansichten Ubertins gegen die rechte Vernunft und gegen die rechte Auslegung der Heiligen Schrift. Alldieweil man bei Gütern, die durch den Gebrauch vernutzt oder aufgezehrt werden, wie eben bei Brot und Fisch, nicht von bloßem Nutzungsrecht sprechen könne, auch gebe es da keinen faktischen Nießbrauch, sondern nur Mißbrauch. Alles, was die Gläubigen in der Urkirche als Gemeineigentum gehabt hätten, wie aus Acta zwei und drei zu entnehmen, sei ihnen eigen gewesen aufgrund derselben Art von Verfügungsgewalt, die sie vor ihrer Bekehrung innegehabt; die Apostel hätten auch nach der Niederkunft des Heiligen Geistes Güter in Judäa besessen; das Gelübde, ohne Besitz zu leben, erstrecke sich nicht auf die Dinge, derer der Mensch zum Weiterleben bedarf, und als Petrus sagte, er habe alles verlassen, habe er damit nicht sagen wollen, er habe auf alles Eigene verzichtet. Adam sei Besitzer und Eigentümer der Dinge im Paradies gewesen; der Knecht, der Geld annehme von seinem Herrn, mache davon gewiß weder Nieß- noch Mißbrauch; die Worte der Exiit qui seminat , auf welche die Minoriten sich ständig beriefen und derzufolge die Minderen Brüder nur den Nießbrauch, nicht aber den Besitz und das Eigentum an den von ihnen benutzten Dingen hätten, bezögen sich nicht auf die Dinge, die durch den Gebrauch verzehrt werden, und hätte die Exiit auch die verderblichen Güter mit einbezogen, so hätte sie etwas Unmögliches behauptet. Der faktische Nießbrauch lasse sich nicht vom juridischen Besitz unterscheiden; jedes menschliche Recht, kraft dessen man materielle Güter besitze, sei eingeschlossen in den Gesetzen der Könige; Christus als sterblicher Mensch sei vom Augenblick seiner Empfängnis an Besitzer und Eigentümer aller irdischen Dinge gewesen, und als Gott habe er vom Vater die unbeschränkte Verfügungsgewalt über alles erhalten; er sei mithin Eigentümer von Kleidung und Nahrung gewesen, auch von Geldern aus den Spenden der Gläubigen, und wenn er arm gewesen, so nicht aus Mangel an Eigentum, sondern weil er die Früchte seines Eigentums nicht genoß. Alldieweil nämlich der bloße Besitztitel, losgelöst von der Eintreibung anfallender Zinsen, seinen Inhaber nicht reich mache; und schließlich, selbst wenn die Exiit etwas anderes gesagt habe, könne der römische Pontifex in Fragen des Glaubens und der Moral jederzeit die Entscheidungen seiner Vorgänger widerrufen, ja in ihr Gegenteil verkehren.
An diesem Punkt sprang Bruder Hieronymus, der Bischof von Kaffa, sichtlich erregt auf und begann, während sein Bart vor Wut zitterte, mochten auch seine Worte sich konziliant zu geben versuchen, mit einer Argumentation, die mir recht konfus zu sein schien. »Was ich dem Heiligen Vater zu sagen gedenke«, rief er laut in die Runde, »und mich selbst, der ich es sagen werde, unterwerfe ich hiermit seiner prüfenden Korrektur, denn ich glaube wirklich, daß Johannes der Stellvertreter Christi ist, und für dieses Bekenntnis habe ich in den Kerkern der Sarazenen schmachten müssen! Also, ich werde damit anfangen, daß ich eine Sache zitiere, die von einem gelehrten Doktor berichtet wird, wie nämlich eines Tages ein Disput zwischen Mönchen aufkam über die Frage, wer der Vater von Melchisedek war, und als der Abt Copes danach gefragt wurde, schlug er sich an den Kopf und rief aus: Weh dir, Copes, immer suchst du nur herauszufinden, was Gott dir nicht herauszufinden gebietet, und vernachlässigst darüber, was Gott dir geboten hat! Also, wie man unschwer aus meinem Beispiel entnehmen kann: Es ist so sonnenklar, daß Christus und die Heilige Jungfrau und die Apostel nichts Eigenes besaßen, wie es weniger klar wäre anzuerkennen, daß Christus gleichzeitig Mensch und Gott war, und doch scheint mir klar, wer die erste Evidenz leugnet, müßte auch die zweite verleugnen!«
Sprach's und blickte voller Triumph in die Runde, und ich sah, daß William die Augen zum Himmel verdrehte. Vermutlich fand er den Syllogismus seines wackeren Mitbruders reichlich defekt, und ich konnte ihm darin nicht unrecht geben, aber noch defekter erschien mir die
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