Der Name der Rose
Aber er kann erzählen, wie und warum er geschrieben hat. Die sogenannten poetologischen Schriften oder Poetiken dienen nicht immer zum besseren Verständnis des Werkes, von dem sie angeregt worden sind, aber sie dienen zur Einsicht in die Verfahrensweise bei der Lösung des technischen Arbeitsproblems, das die Hervorbringung (Produktion) eines Werkes immer auch ist.
Edgar Allan Poe erzählt in seinem Essay Die Methode der Komposition , wie er sein Gedicht Der Rabe geschrieben hat. Er sagt uns nicht, wie wir es lesen sollen, sondern welche Probleme er sich gestellt hat, um eine »poetische Wirkung« zu erzielen. Und definieren würde ich die poetische Wirkung als die Fähigkeit eines Textes, immer neue und andere Lesarten zu erzeugen, ohne sich jemals ganz zu verbrauchen.
Wer schreibt (oder malt oder bildhauert oder komponiert), weiß stets, was er tut und was es ihn kostet. Er weiß, daß er ein Problem lösen muß. Die Ausgangsdaten mögen obskur sein, triebhafte, obsessive Motive, kaum mehr als ein Gelüst oder eine Erinnerung. Dann aber muß er das Problem am Arbeitstisch lösen, in Auseinandersetzung mit dem Stoff, den er bearbeitet, das heißt mit einer Materie, die eigene Naturgesetze aufweist, aber zugleich die Last der bereits in sie eingegangenen Kultur (das Echo der Intertextualität) mitschleppt.
Wenn ein Autor behauptet, er habe im Rausch der Inspiration geschrieben, lügt er. Genie ist zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration.
Lamartine schrieb einmal, ich weiß nicht mehr, über welches seiner Gedichte, es sei ihm spontan eingefallen, urplötzlich in einer stürmischen Nacht im Walde. Als er gestorben war, fand man seine Manuskripte mit zahlreichen Korrekturen und Varianten, und besagtes Gedicht erwies sich als das vielleicht am meisten »bearbeitete« der gesamten französischen Literatur.
Wenn ein Schriftsteller (oder Künstler im allgemeinen) sagt, er habe gearbeitet, ohne an die Verfahrensregeln zu denken, meint er damit nur, daß er gearbeitet hat, ohne zu wissen, daß er die Regeln kannte. Ein Kind weiß seine Muttersprache gut zu gebrauchen, aber es könnte nicht ihre Grammatik schreiben. Dennoch ist der Grammatiker nicht der einzige, der die Regeln der Sprache kennt, denn unbewußt kennt sie auch das Kind. Der Grammatiker ist nur der einzige, der weiß, wie und warum das Kind mit der Sprache umgehen kann.
Erzählen, wie man geschrieben hat, heißt nicht behaupten, man habe »gut« geschrieben. »Eines ist die Wirkung des Werkes«, sagte Poe, »ein anderes die Erkenntnis des Verfahrens.« Wenn Kandinsky oder Klee uns erzählen, wie sie malen, so sagen sie uns damit nicht, ob einer der beiden besser ist als der andere. Wenn Michelangelo sagt, skulpieren heiße, die dem Stein bereits »einbeschriebene« Figur von ihrem »Überschuß« zu befreien, so sagt er damit nicht, ob die vatikanische Pietà besser ist als die Pietà Rondanini. Manche der klarsten Seiten über künstlerische Prozesse stammen gerade von kleineren Künstlern, die nur bescheidene Werke hervorgebracht haben, aber sehr gut über ihre Verfahrensweisen zu reflektieren vermochten: Vasari, Horatio Greenough, Aaron Copland …
Natürlich, das Mittelalter
Ich habe einen Roman geschrieben, weil ich Lust dazu hatte. Ich halte das für einen hinreichenden Grund, sich ans Erzählen zu machen. Der Mensch ist von Natur aus ein animal fabulator. Begonnen habe ich im März 1978, getrieben von einer vagen Idee: Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften. Ich glaube, Romane entstehen aus solchen Ideen-Keimen, der Rest ist Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt. Es muß eine alte Idee gewesen sein: Ich fand später ein Notizheft aus dem Jahr 1975, in welchem ich mir eine Liste von Mönchen eines unbestimmten Klosters angelegt hatte. Nichts weiter. Als erstes machte ich mich daran, den Traité des poisons von Orfila zu studieren – den ich zwanzig Jahre zuvor bei einem Bouquinisten am Seineufer erstanden hatte, aus reiner Treue zu Huysmans ( Là-bas ). Da keins der behandelten Gifte mich befriedigte, bat ich einen befreundeten Biologen, mir ein Pharmakon mit bestimmten Eigenschaften (Absorbierbarkeit über die Haut bei Berührung von zweckmäßig präparierten Gegenständen) zu empfehlen. Seinen Antwortbrief, in dem er mir schrieb, er kenne leider kein Gift, das meinen Wünschen entspreche, habe ich unverzüglich vernichtet: Schriftstücke solcher Art bringen ihren Besitzer, liest man sie in einem anderen
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