Der Name der Rose
intensiven brüderlichen Verkehr und innigen spirituellen Austausch gepflogen. Wieviel härter mußten diese Züge damals im Jahre 1311 gewesen sein, als er sich dem feingesponnenen Kompromiß des Konzils zu Vienne widersetzte! Das Konzil hatte nämlich mit seinem Dekretale Exivi de paradiso einerseits jene franziskanischen Oberen entmachtet, die den Spiritualen feindlich gesonnen waren, andererseits aber diesen auferlegt, fürderhin friedlich im Schoße des Ordens zu leben. Ubertin jedoch, dieser unbeugsame Verfechter eines asketischen Lebens, hatte den Kompromiß abgelehnt und sich für die Gründung eines unabhängigen, streng zur Armut verpflichteten Ordens eingesetzt. Am Ende hatte der große Kämpfer seinen Kampf freilich doch verloren, denn in den folgenden Jahren führte Johannes XXII. seinen Kreuzzug gegen die Anhänger des schon genannten Petrus Johannis Olivi (zu denen auch Ubertin gerechnet wurde) und verurteilte die Brüder und Schwestern von Narbonne und Béziers als Ketzer. Dennoch hatte Ubertin nicht gezögert, das Andenken des Freundes gegenüber dem Papst zu verteidigen, und dieser, überwältigt von der Heiligkeit des großen Asketen, hatte es nicht gewagt, auch ihn zu verurteilen (obwohl er die anderen alle verurteilte). Ja, er hatte ihm sogar ein Leben in Ruhe und Sicherheit angeboten, indem er ihm zuerst riet und dann befahl, dem Orden der Cluniazenser beizutreten. Ubertin, der offenbar großes Geschick besaß (so zart und zerbrechlich er wirkte), sich Protektion und Verbündete am päpstlichen Hof zu verschaffen, hatte sich daraufhin zwar bereit erklärt, in das flandrische Kloster Gemblach zu gehen, ist dann aber, soweit ich weiß, niemals dorthin gegangen, sondern in Avignon geblieben, um unter der schützenden Hand des Kardinals Orsini die Sache der Franziskaner zu verteidigen.
Erst in letzter Zeit (ich hatte darüber nur vage Gerüchte gehört) hatte sein Glück bei Hofe sich gewendet, jedenfalls mußte er Avignon verlassen, und seither ließ der Papst diesen unbeugsamen Mann verfolgen als Ketzer qui per mundum discurrit vagabundus 15 . Er galt als spurlos verschwunden … Heute morgen hatte ich aus dem Gespräch zwischen William und dem Abt erfahren, daß er sich hier in dieser Abtei aufhielt. Und nun stand er vor mir!
»Denk nur, William«, sagte er gerade, »sie waren bereits soweit, daß sie mich umbringen wollten. Ich mußte bei Nacht und Nebel fliehen!«
»Wer wollte deinen Tod? Johannes?«
»Nein. Johannes hat mich zwar nie gemocht, aber stets respektiert. Er war es im Grunde auch, der damals vor zehn Jahren verhindert hatte, daß es zum Prozeß gegen mich kam, indem er mir auferlegte, zu den Benediktinern zu gehen. Dagegen konnten meine Feinde nichts sagen. Sie haben lange gemurrt und gestichelt, sie machten sich lustig über die Tatsache, daß ein so strenger Verfechter der Armut in einen so reichen Orden eintrat und dazu noch am Hofe des Kardinals Orsini lebte … William, du weißt, wie wenig mir an den Dingen dieser Welt liegt! Aber, verstehst du, das war die einzige Möglichkeit, in Avignon zu bleiben und meine Mitbrüder zu verteidigen. Der Papst hat Angst vor Orsini, er hätte mir niemals ein Haar gekrümmt. Noch vor drei Jahren schickte er mich als Botschafter zum König von Aragonien.«
»Wer war es dann, der dir übel wollte?«
»Alle. Die Kurie. Zweimal haben sie versucht, mich zu ermorden. Sie wollten mich unbedingt zum Schweigen bringen. Du weißt, was vor fünf Jahren geschehen ist. Die Beginen von Narbonne waren schon zwei Jahre lang verurteilt, und Berengar Talloni, der immerhin selber einer der Richter gewesen war, hatte den Papst um eine Revision des Urteils ersucht. Es waren schwierige Zeiten für uns, Johannes hatte bereits zwei Bullen gegen die Spiritualen erlassen, und sogar Michael von Cesena hatte nachgegeben … Übrigens, wann kommt er?«
»Er wird in zwei Tagen hier sein.«
»Michael … Wie lange habe ich ihn nicht gesehen! Inzwischen hat er sich wieder besonnen, er hat jetzt begriffen, was wir wollen, das Kapitel von Perugia hat uns recht gegeben. Aber damals, und noch 1318, ist er vor dem Papst zurückgewichen und hat ihm fünf provencalische Mitbrüder ausgeliefert, die sich nicht unterwerfen wollten. Sie sind verbrannt worden, William … Oh, es war schrecklich!« Ubertin schlug sich die Hände vors Gesicht.
»Aber sag mir«, fragte William, »was genau geschah nach dem Revisionsgesuch von Talloni?«
»Johannes mußte die ganze Debatte neu
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