Der Name der Rose
Himmels, daß mir, ausgerechnet mir die Aufgabe zufiel, ihre Wundertaten zu untersuchen und dem Volk ihre Heiligkeit zu verkünden, bevor noch unsere heilige Mutter Kirche sich rührte. Und du warst damals dabei, lieber William, und du hättest mir helfen können bei diesem heiligen Unternehmen, aber du wolltest nicht …«
»Das heilige Unternehmen, zu dem du mich einludst, lieber Ubertin, bestand darin, die Brüder Bentivenga, Jacomo und Giovannuccio auf den Scheiterhaufen zu befördern«, entgegnete William sanft.
»Sie waren im Begriff, mit ihren Perversionen das Andenken der Heiligen zu verdunkeln. Und du warst damals Inquisitor!«
»Und genau damals bat ich um Entlassung aus diesem Amt. Die Geschichte gefiel mir nicht. Mir gefiel auch nicht, um es offen zu sagen, wie du Bentivenga dazu gebracht hattest, seine Verfehlungen zu gestehen. Du hast so getan, als wolltest du in seine Sekte eintreten, wenn es denn eine Sekte war, hast ihm seine Geheimnisse entlockt und ihn dann verhaften lassen.«
»Nun ja, das ist eben die Art, wie man gegen die Feinde Christi vorgeht. Sie waren Häretiker, sie waren falsche Apostel, sie strömten den Schwefelgeruch Fra Dolcinos aus.«
»Sie waren die Freunde Claras.«
»Nein, William, nie darfst du das Andenken Claras verdunkeln, nicht einmal mit einem Schatten!«
»Aber sie verkehrten in Claras Gruppe …«
»Sie waren Minoriten, sie nannten sich Spiritualen, aber sie waren Brüder der Gemeinde! Und du weißt, für die Untersuchung war es klar, daß Bentivenga von Gubbio sich Apostel nannte und daß er zusammen mit Giovannuccio von Bevagna Nonnen verführte, indem er ihnen einflüsterte, es gebe gar keine Hölle und man könne die fleischlichen Gelüste befriedigen, ohne Gott zu beleidigen, man dürfe den Corpus Christi empfangen, nachdem man (der Herr vergebe mir!) bei einer Nonne gelegen, und dem Herrn sei die Sünderin Magdalena lieber gewesen als die hehre Jungfrau, und den das Volk Dämon nenne, der sei in Wahrheit Gott selber, denn der Dämon sei Weisheit und Gott sei Weisheit! Und es war die selige Clara, die, nachdem sie solche Reden gehört, ihre große Vision hatte, in welcher ihr Gott höchstpersönlich sagte, daß jene Verführer üble Jünger des Spiritus Libertatis waren!«
»Sie waren Minoriten, deren Geist von den gleichen Visionen erfüllt war, wie sie Clara gesehen hatte, und oft ist es nur ein sehr kleiner Schritt von der ekstatischen Vision zum sündhaften Rausch«, sagte William.
Ubertin ergriff Williams Hände, und erneut füllten sich seine Augen mit Tränen. »Sag so was nicht, William! Wie kannst du verwechseln zwischen dem Augenblick der ekstatischen Liebe, die dir die Eingeweide verbrennt mit dem Duft des Weihrauchs, und dem betäubenden Rausch der Sinne, der nach Schwefel riecht! Bentivenga hat dazu angestiftet, die nackten Glieder von Körpern zu berühren, er hat behauptet, nur dadurch könne man sich aus dem Reich der Sinne befreien, homo nudus cum nuda iacebat …« 16
» Et non commiscebantur ad invicem …« 17
»Lüge! Sie suchten das Vergnügen, wenn der fleischliche Trieb sich regte, sie hielten es nicht für Sünde, wenn Mann und Frau zusammenlagen, um ihn zu befriedigen, wenn sie einander an allen Körperteilen berührten und küßten, wenn einer seinen nackten Bauch mit dem nackten Bauch der anderen vereinte!«
Ich muß gestehen, daß die Art, wie Ubertin die Laster anderer stigmatisierte, mich nicht gerade zu tugendhaften Gedanken anregte. William hatte wohl meine Verwirrung bemerkt, denn er unterbrach den heiligen Mann und sagte:
»Du bist ein feuriger Geist, Ubertin, du brennst in der Liebe zu Gott wie im Haß auf das Böse. Was ich sagen wollte, war lediglich, daß zwischen dem Feuer der Seraphim und dem Feuer des Luzifer nur ein geringer Unterschied ist, denn beide entspringen einer extremen Entzündung des Willens.«
»Oh doch, es gibt einen großen Unterschied, und ich kenne ihn«, sagte Ubertin mit leuchtenden Augen. »Du willst sagen, daß der Wille zum Guten und der Wille zum Bösen nah beieinanderliegen, weil es in beiden Fällen nur um die Ausrichtung ein und desselben Willens geht. Das ist wahr. Aber der Unterschied liegt eben genau in dieser Ausrichtung auf verschiedene Objekte, und die Objekte lassen sich klar unterscheiden: einerseits Gott, andererseits der Teufel.«
»Und ich fürchte eben, hier nicht mehr genau unterscheiden zu können, Ubertin. War es nicht deine Angela von Foligno, die eines Tages erzählte,
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