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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie sei, erleuchtet vom Geiste, im Grabe Christi gestanden? Sagte sie nicht, sie habe zuerst seine Brust geküßt, als sie ihn da liegen sah mit geschlossenen Augen, und dann habe sie seinen Mund geküßt und gespürt, wie seinen Lippen ein unsäglich süßer Duft entströmt sei, und nach einer kleinen Weile habe sie ihre Wange auf Christi Wange gelegt, und Christus habe seine Hand ihrer Wange genähert und sie fest an sich gezogen, und ihr Entzücken – so sagte sie – sei übermächtig geworden?«
    »Was hat das mit dem Ansturm der Sinne zu tun?« fragte Ubertin. »Das war eine mystische Erfahrung, und jener Leib war der Corpus Domini Nostri!«
    »Nun, vielleicht habe ich mich zu lange in Oxford aufgehalten«, erwiderte William, »wo auch die mystischen Erfahrungen andersgeartet waren …«
    »Ganz im Kopf, nicht wahr?« lächelte Ubertin.
    »Oder in den Augen. Wenn Gott als Licht empfunden wird, in den Strahlen der Sonne, in den Bildern der Spiegel, im Spiel der Farben auf den Teilen der wohlgeordneten Materie, in den Reflexen der Morgenröte auf den taufeuchten Blättern … Ist solche Liebe nicht näher der Liebe des heiligen Franz, der Gott in seinen Geschöpfen pries, in Blumen und Gräsern, in Wasser und Luft? Aus solcher Liebe kann niemals, so glaube ich, eine schwüle Verlockung kommen. Dagegen mißfällt mir eine Liebe, die ins Zwiegespräch mit dem Höchsten die Fieberschauer der fleischlichen Berührung einführt …«
    »Du redest lästerlich, William! Das ist nicht dasselbe. Es liegt ein gewaltiger Unterschied zwischen der hehren Ekstase dessen, der in Liebe zum gekreuzigten Christus entbrennt, und der frivolen Ekstase der falschen Apostel von Montefalco …«
    »Sie waren keine falschen Apostel, sie waren Brüder im Freien Geiste, du hast es selber gesagt.«
    »Wo ist da der Unterschied? Du weißt nicht alles, was damals in jenem Prozeß zutage gekommen ist, ich selbst habe nicht gewagt, gewisse Geständnisse aktenkundig zu machen, weil ich die Aura der Heiligkeit, die Clara an jenem Ort geschaffen hatte, nicht einmal für einen Augenblick mit dem Schatten des Dämons verdunkeln wollte. Aber ich habe gewisse Dinge erfahren, gewisse Dinge, William! Sie versammelten sich bei Nacht im Keller, nahmen ein neugeborenes Kind und warfen es sich einander zu, bis es an den Erschütterungen und Stößen – oder an anderem – starb, und wer es als letzter lebend auffing, so daß es in seinen Händen starb, der wurde zum Oberhaupt ihrer Sekte … Und der Körper des Kindes wurde zerrissen, und die Teile wurden zerstampft und dem Mehl beigemischt, aus dem sie blasphemische Hostien buken!«
    »Ubertin«, sagte William mit fester Stimme, »diese Dinge sind vor Jahrhunderten den armenischen Bischöfen nachgesagt worden, der Paulizianer-Sekte und später den Bogomilen.«
    »Was besagt das schon? Der Dämon ist blöde und einfallslos, er hält sich in seinen Verlockungen und Verführungen an einen sturen Rhythmus, er wiederholt seine Riten über Jahrtausende, er bleibt sich immer gleich, und eben daran erkennt man ihn als den Feind! Ich schwöre dir, sie zündeten Kerzen in der Osternacht an und holten sich junge Mädchen in den Keller. Dann löschten sie die Kerzen und warfen sich in der Dunkelheit auf die Mädchen, mochten diese auch mit ihnen verbunden sein durch Blutsbande … Und wenn dann aus dieser blinden Vermischung ein Kind entstand, begann der höllische Ritus von neuem, alle versammelten sich um einen Bottich mit Wein, den sie ›das Tönnchen‹ nannten, um sich daran zu berauschen, und rissen das Neugeborene in Stücke und gössen sein Blut in eine Schale! Und sie warfen Kinder lebendig ins Feuer und mischten die Asche der Kinder mit ihrem Blut und tranken es!«
    »Genau das schrieb Michael Psellos vor dreihundert Jahren in seiner Dämonologie. Wer hat dir diese Dinge erzählt?«
    »Sie, Bentivenga und die anderen, unter der Folter.«
    »Es gibt nur eins, was die Menschen mehr erregt als die Lust, Ubertin, und das ist der Schmerz. Unter der Folter lebst du wie im Reich der Kräuter und Säfte, die Visionen erzeugen. Alles, was du jemals gehört, alles, was du jemals gelesen hast, kommt dir aufs lebhafteste in den Sinn, als wärst du entrückt, aber nicht zum Himmel, sondern zur Hölle. Unter der Folter sagst du nicht nur, was der Inquisitor von dir erwartet, sondern auch, was ihm vielleicht gefällt und Vergnügen bereitet, damit zwischen ihm und dir ein inniges (und nun wirklich diabolisches) Band

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