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Der Name der Rose

Der Name der Rose

Titel: Der Name der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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denn eine war). Damals predigte in der Toskana ein Franziskaner, Fra Gerhardino von Borgo San Donnino, der sich zum Sprachrohr der Prophezeiungen des Joachim machte und damit die Minderen Brüder sehr beeindruckte. So bildete sich unter ihnen eine Gruppe, die starr an der alten Regel festhielt, als der große Bonaventura, der inzwischen ihr Ordensgeneral geworden war, den Orden zu reorganisieren versuchte. Und als dann im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts das Konzil zu Lyon dem Orden der Franziskaner, um ihn vor denen zu retten, die ihn abschaffen wollten, das Eigentum an allen Gütern zugestand, die er im Gebrauch hatte, kam es in den italienischen Marken zu einem Aufstand von Brüdern, die meinten, nun sei der Geist der franziskanischen Regel endgültig verraten worden, denn Franziskaner dürften niemals etwas besitzen, weder als einzelne noch als Konvent noch als Orden. Sie wurden zur Strafe für ihren Aufstand lebenslänglich eingekerkert. Ich glaube nicht, daß sie etwas gepredigt hatten, was im Widerspruch zum Evangelium stand, aber wenn das Eigentum und der Besitz an irdischen Dingen ins Spiel kommt, wird es für die Menschen schwierig, gerecht zu argumentieren. Jahre später, so ist mir erzählt worden, fand dann der neue Ordensgeneral Raimund Gaufredi die Eingekerkerten in Ancona und befreite sie mit den Worten: »Wollte Gott, daß wir alle und der ganze Orden uns befleckt hätten mit dieser Schuld!« Woran man sieht, daß es nicht wahr ist, was die Häretiker sagen, sondern daß es in der Kirche immer noch Männer von großer Tugend gibt.
    Einer der Eingekerkerten von Ancona, ein italienischer Bruder namens Angelo Clareno, tat sich alsdann nach seiner Befreiung mit einem provencalischen Franziskaner namens Petrus Johannis Olivi zusammen, der die Prophezeiungen des Joachim in Südfrankreich predigte, und danach mit Ubertin von Casale, und aus dieser Verbindung entstand die Bewegung der Spiritualen. In jenen Jahren kam es dazu, daß ein überaus heiliger Eremit namens Petrus von Murrone den Heiligen Stuhl bestieg, um als Papst Coelestin V. zu regieren, und dieser Papst wurde von den Spiritualen mit großer Freude begrüßt. »Ein Heiliger wird kommen«, war geweissagt worden, »und er wird die Lehren Christi befolgen und wird leben wie ein Engel. Erzittert, verderbte Prälaten!« Aber vielleicht lebte Coelestin allzusehr wie ein Engel, vielleicht waren die Prälaten in seiner Umgebung allzu verderbt, vielleicht ertrug er ganz einfach nicht mehr die Spannungen eines Krieges, der nun schon allzulange zwischen der Kurie und dem Kaiser sowie den anderen weltlichen Herrschern Europas geführt wurde – Tatsache ist jedenfalls, daß Coelestin auf sein hohes Amt bald wieder verzichtete, um sich in die Einsamkeit der Abruzzen zurückzuziehen. Doch in seiner kurzen Regierungszeit, die weniger als ein Jahr gedauert hatte, waren die kühnsten Hoffnungen der Spiritualen erfüllt worden. Einerseits hatte Coelestin mit ihnen die Gemeinschaft der fratres et pauperes heremitae domini Coelestini, den sogenannten Coelestinerorden gegründet. Andererseits gab es, während der Papst immerfort zwischen den mächtigen römischen Kardinälen vermitteln mußte, unter diesen einige, zum Beispiel einen Colonna und einen Orsini, die insgeheim das neue Verlangen nach Armut unterstützten. Wahrlich eine seltsame Haltung für so mächtige Potentaten, die selber in Wohlstand und maßlosem Reichtum lebten, und ich habe nie recht verstanden, ob sie die Spiritualen einfach für ihre eigenen Machtinteressen benutzten, oder ob sie meinten, sie könnten durch ihre Unterstützung der Spiritualen ihr eigenes Leben in Pracht und Luxus irgendwie rechtfertigen; mag sein, daß beides zugleich der Fall war, ich verstehe wenig von diesen italienischen Dingen. Doch um ein konkretes Beispiel zu geben: Ubertin fand Unterschlupf als Kaplan bei Kardinal Orsini, als ihm, nachdem er zum geistigen Führer der Spiritualen geworden war, eine Anklage wegen Ketzerei drohte, und derselbe Kardinal hielt auch später in Avignon seine schützende Hand über ihn.
    Indessen kam es, wie es in solchen Fällen kommt: Einerseits predigten hochgebildete Franziskaner wie Angelo und Ubertin gemäß der Heiligen Schrift, andererseits griffen zahlreiche Laien ihre Predigt auf und verbreiteten sie ohne jede Kontrolle im Lande. So wurde Italien regelrecht überschwemmt von jenen Fraticelli oder kleinen Brüdern des armen Lebens, die vielen gefährlich erschienen. Längst

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