Der Name der Rose
war es schwierig geworden, klar zu trennen und zu unterscheiden zwischen den Lehrmeistern der Spiritualen, die mit den Kirchenbehörden Kontakt hielten, und ihren einfachen Anhängern, schlichten Laienbrüdern, die außerhalb des Ordens lebten, von erbettelten Almosen und von der täglichen Arbeit ihrer Hände, ohne das geringste Eigentum zu besitzen. Letztere waren es, die man im Volksmund Fratizellen nannte, nicht unähnlich jenen französischen Beginen, die sich an der Lehre des schon genannten Petrus Johannis Olivi orientierten.
Nach Coelestin V. kam Bonifaz VIII. auf den Heiligen Stuhl, und dieser Papst beeilte sich nun, so unnachsichtig wie möglich gegen die Spiritualen und die Fratizellen vorzugehen. Noch in den letzten Jahren des Jahrhunderts erließ er eine Bannbulle, Firma cautela , mit welcher er in einem einzigen Aufwasch Terziare, umherschweifende Bettelmönche an den äußeren Rändern des Franziskanerordens und die eigentlichen Spiritualen verdammte, das heißt jene Brüder, die sich dem Leben des Ordens entzogen, um ein Dasein als Eremiten zu fuhren.
Später bemühten sich die Spiritualen, das Einverständnis anderer Päpste zu gewinnen, etwa Clemens' V., um sich gewaltlos und friedlich vom Orden absetzen zu können, und ich glaube, sie hatten auch zuweilen Erfolg. Doch als dann schließlich Johannes XXII. sein Pontifikat antrat, verloren sie alle Hoffnung. Gleich nach seiner Wahl im Jahre 1316 schrieb der neue Papst einen Brief an den König von Sizilien, wohin sich viele italienische Spiritualen geflüchtet hatten, und forderte ihn auf, diese Brüder von seinem Land zu vertreiben. Zugleich ließ er Angelo Clareno und die provencalischen Spiritualen in Ketten legen.
Das kann jedoch kein leichtes Unternehmen gewesen sein, und auch in der Kurie waren viele dagegen. Tatsache ist jedenfalls, daß es Ubertin und Clareno schließlich freigestellt wurde, den Orden der Franziskaner zu verlassen, was sie dann auch taten; der eine fand Unterschlupf bei den Benediktinern, der andere bei den Coelestinern. Doch gnadenlos ging Johannes gegen diejenigen vor, die ihr freies Leben fortsetzen wollten: Er ließ sie von der Inquisition verfolgen, und viele von ihnen wurden als Ketzer verbrannt.
Indessen hatte er sehr wohl begriffen, daß er, um das Unkraut der Fratizellen auszurotten, das die Autorität der Kirche zu untergraben drohte, auch die Lehren verurteilen mußte, auf denen sie ihren Glauben begründeten. Sie behaupteten aber, daß Christus und seine Jünger keinerlei Eigentum besessen hätten, weder persönliches noch gemeinschaftliches, und so verurteilte nun der Papst eben diese Behauptung als ketzerisch. Ein erstaunliches Urteil an und für sich, ist es doch nicht ersichtlich, warum ein Papst die Ansicht für verkehrt halten sollte, daß Christus arm gewesen sei. Doch genau ein Jahr vor dem Urteilsspruch hatte zu Perugia das Generalkapitel der Franziskaner getagt und eben diese Ansicht vertreten; indem der Papst also die einen verurteilte, verurteilte er zugleich auch die anderen. Denn wie ich bereits gesagt habe, die Haltung der Franziskaner störte den Papst beträchtlich in seinem Kampf gegen den Kaiser, und das war der Grund. So mußten denn in den folgenden Jahren zahlreiche schlichte Brüder, die weder vom Kaiser noch von Perugia viel wußten, elendiglich in den Flammen sterben.
All diese Dinge gingen mir durch den Kopf, während ich mich der Betrachtung eines so legendären Mannes wie Ubertin hingab. Mein guter Meister hatte mich ihm vorgestellt, und der Greis hatte mir die Wange gestreichelt mit einer warmen, ja geradezu heißen Hand. Und bei der Berührung durch diese Hand hatte ich plötzlich vieles von dem verstanden, was ich gehört über diesen heiligen Mann und was ich gelesen in seinem Arbor Vitae ; ich verstand nun auf einmal, welches mystische Feuer ihn verzehrt hatte seit seiner Jugend, als er, obwohl Student in Paris, sich von den theologischen Spekulationen abgewandt hatte und sich einbildete, er sei in die Büßerin Magdalena verwandelt; ich verstand seine intensiven Beziehungen zu der heiligen Angela von Foligno, die ihn eingeführt hatte in die Schätze der Mystik und in die Anbetung des Kreuzes; und ich verstand nun auch, warum seine Oberen ihn eines Tages, besorgt über den glühenden Eifer seiner Predigt, in die Bergeinsamkeit des apenninischen Klosters La Verna geschickt hatten.
Ich betrachtete seine Züge, die mir sanft erschienen wie die der Heiligen, mit der er so
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